Das Archiv der Lyriknachrichten | Seit 2001 | News that stays news
Jede Lyrik, der man zwischen oder auf den Zeilen ansah, daß sie nur geschrieben wurde, um dem Staat die Leviten zu lesen, haben wir ignoriert oder verspottet. Allem, was uns allzu bekannt vorkam, allem, was behauptete, ein Ausdruck oder eine Spiegelung der absurden Realität zu sein, versuchten wir die Maskerade des Unbekannten oder Rätselhaften entgegenzusetzen. Warum sollte man dieses Verhalten nach so langer Zeit neu deuten? Es war, was es war, und zwar ein gesunder Reflex der Abwehr von fremden Ansprüchen auf unser Leben. „Die da oben wollen nur unser bestes. Aber sie kriegen es nicht“. Der alte Spontispruch hätte ein Motto für das gerade in vager Entstehung begriffene Selbstverständnis abgeben können. Und das ironisch abweisende Verhältnis zu den mißtrauisch-neugierigen oder verärgerten Autoritäten aus Kunst, Kultur und Politik wäre auch mit dem alten Dylan-Refrain: „Something is happening here, but you don’t know what ist is, do you, Mr. Jones.” andeutbar gewesen. Der die Jugend von den Vorzügen der DDR überzeugen sollende Ostrock übrigens, der heute vielen dem Vernehmen nach als eine herzerfrischende Nostalgie-Mucke gilt, stand uns äußerst fern, etwa so fern, wie, sagen wir mal, die Idee, an Wahltagen den Helfern mit der Urne die Tür zu öffnen. Wir bevorzugten den Subterranean Homesick Blues. Quirliges Englisch, das wir nur halb verstanden, war uns lieber als rührendes Rockvereinsdeutsch. Doch zurück zum Thema. Mag vieles, vielleicht allzuvieles jener sich vielsagend in sich selbst einspinnenden lyrischen Erstabsonderungen nach seriösen Kritierien der Kunst-Beurteilung auch nur knapp bis völlig verfehlt gewesen sein – das spielte für den inneren und äußeren Wert der damals in unseren zerklüfteten Zirkeln behaupteten und zelebrierten Zensurfreiheit keine Rolle. Es spielte auch keine Rolle, daß unsere Auffassung von Zensurfreiheit in ihrer schwarz-weiß-malerischen Einfalt nicht gerade eine ausgereifte war. Was sollte man denn mit Fehlerkorrekturen, wenn man sich einig war, daß das System der Fehler ist. Nicht etwa „Der Fehler liegt im System“, nein, „Der Fehler ist das System“, wie das allgemeine Unbehagen in den frühen 80er Jahren von einem Slogan auf den erschütternden Nenner gebracht wurde. (…) Nur bei dem dichterischen Konzept von Bert Papenfuß fand sich fast von Anfang an ein ausgetüftelter Ansatz, mittels sprachalchemistischer Zersetzungsprozesse den eigentlichen Kern der Dinge hervorscheinen zu lassen.
(…)
Das sich naiv Stellen wiederum als eine Strategie des Subversiven oder auch nur der Verzögerung von Unannehmlichkeiten war in der DDR so etwas wie eine Volkstradition. Es war kennzeichnend für die allgemeine Mentalität im Verhalten gegenüber den Obrigkeiten. Das Naive als sprachliches Kunstkonzept läßt sich durchaus auch als Ableitung aus jener allgemeinen Bevölkerungsgemütslage verstehen. Ein ohnehin auf der Straße liegendes Reaktionspotential wurde lyrisches Aufführungselement. Der rauhe Ton der Umgangssprache verschmolz mit der Idee, so zu tun, als wäre man gerade vom Mond gefallen, zu einer Novität von silbenrätselhafter und dennoch widerspruchsbewußter und aussagestolzer Anmutung. Das beste und gleichzeitig einzige Beispiel für ein Gelingen solcher (kon)fusionären Schreibweisen stellten die Gedichte des frühen Bert Papenfuß dar, wie seine erst viel zu viele Jahre nach ihrer Entstehung auch gedruckt erhältlichen Lyrikmanuskripte „Till“, Naif“, „Harm“ und „Soja“ auch heute noch belegen dürften. Es war auch im weiteren Verlauf der 80er Jahre immer wieder dieser geniale Kollege, der mit seinen findigen Abschöpfungsfeldzügen durch vermeintlich brachliegende Bereiche der Literatur- und Mythengeschichte sowie einer besonderen Begabung für das Abklopfen, Zerlegen und Reformulieren aller nur denkbaren Sprüche den Löwenanteil der Aufmerksamkeit für die ganze umstrittene Neutönerei auf sich lenken sollte, und dies nicht nur deshalb zu Recht, weil er auch in quantitativer Hinsicht der wahrscheinlich produktivste Lyrikbandschreiber gewesen ist. Niemand sonst schrieb damals derartige Texte von gleicherweise zum Lachen wie zum einträglichen Sinnieren anstiftenden Konstruktivität, und es gab auch keinen Zweiten, der den Bruch zwischen den Generationen mit seinen einfallsreichen Brechungen von Sprachmustern und Sinngefügen so interessant formulierte, daß sich auch die Neugier von viel Älteren nicht verprellt fühlen mußte. Etwas, das der Zeitgeist als fortwährender Spalter von grundlegenden Lebenszusammenhängen nicht einsehen kann – den wesentlichen Versöhnungs- und Trostcharakter von echter Kunst, schien selbst bei einem Dichter durch, der nach außen hin eher dafür bekannt war, daß er die Leserreaktionen stark polarisierte. Sein Stil war ansteckend wie eine seltene Krankheit, oder wie die, medizinisch gegenstandslose, Krankheit des Seltenen schlechthin. Als solche glänzte sie auch mit Symptomen einer alternativen Jugendmodekrankheit, aber man hätte sich mit solchem Befund nur über die mythischen Abgründe hinweggetäuscht, die in der frühen Papenfuß-Poesie wie sorgfältig zu Papier gebrachte Puzzleteile eines Ursprungs zum Selberbasteln durchschienen.
Andreas Koziol, aus:
Lügen und Wahrheiten – Erinnerungen an ein paar Dachschäden und Freiräume im alten Prenzlauer Berg
Kostenloses e-Buch hier
Neueste Kommentare