64. Einwurf

Ein schneller Eingreiftext oder: Warum das Deutsche Literaturinstitut besser ist als sein Ruf, von Mirko Wenig:

1.) Das Auswahlverfahren für Bewerbungen am Literaturinstitut Leipzig zählt zu den transparenteren an deutschen Universitäten. Unter anderem, weil Studenten und Gastdozenten mitentscheiden dürfen (auch wenn die Entscheidung eines „eingesessenen“ Dozenten mehr Gewicht hat). Es ist zudem kein Abitur nötig, um am DLL zu studieren. Auch „ältere“ Jahrgänge erhalten eine Chance, ohne sich (wie in anderen Studienfächern üblich) für ihren bisherigen Lebenslauf rechtfertigen zu müssen.

2.) Die sozialen Milieus am DLL waren zumindest in meinem Jahrgang BUNT GEMISCHT! Es gab die Problemkiez- und Plattenbaukindheiten ebenso wie die Professorensöhne. Und ich wage ungeprüft zu behaupten: in Jura-, Medizin- und Wirtschaftsstudiengängen ist die soziale Selektion weit ausgeprägter als am DLL. Einen Beleg dafür, dass die Dozenten nach Herkunft entscheiden, sehe ich eher nicht.

3.) Ohne die Literaturinstitute wäre m.E. die Tendenz zu einer saturierten, elitären und bürgerlich geprägten Literatur unter den Nachwuchsschriftstellern ausgeprägter. Wo sonst hat ein Student „armer“ Eltern die Chance, längere Zeit an eigenen literarischen Projekten zu arbeiten und dies (mit Hilfe von Bafög oder Stipendien) finanziert zu bekommen, wenn er sich als Autor versuchen will? Zumindest zu einem kleinen Teil tragen die Institute zu einer größeren sozialen „Durchlässigkeit“ im Literaturbetrieb bei.

4.) Dass letztendlich so viel „saturierte“, brave und gefällige Literatur auf den Markt kommt, liegt m.E. stärker in der Verantwortung der großen Verlage u. auch des Feuilletons. Mehrfach haben Lektoren von Verlagen wie Fischer, Suhrkamp etc. mir gegenüber artikuliert, dass sie bei ihrer Veröffentlichungspolitik darauf achten, ob ein Buch Chancen hat, im Feuilleton von Zeit, Spiegel oder FAZ besprochen zu werden. Das gilt VOR ALLEM FÜR LITERARISCHE DEBÜTS, für die eine wohlwollende Rezension in überregionalen Zeitungen überlebenswichtig ist! Am Literaturinstitut habe ich beobachtet, dass es sehr gute, aber schwierige Bücher GENAU DESHALB schwerer haben, einen Verlag zu finden: Eine Absage von der Art „Ihr Buch hat uns begeistert, aber wir sehen kaum Marktchancen“ kennen mehrere Absolventen.

5.) In den Feuilletons der großen Tages- und Wochenzeitungen sitzen vermehrt Rezensenten oder sogenannte „Literaturkritiker“, die das literarische Experiment eher nicht würdigen oder auch nicht würdigen dürfen. Das zeigt sich mittlerweile nicht nur in der Aussparung ganzer Gattungen (Lyrik fehlt fast vollständig, über Theater und Hörspiel wird weniger berichtet) und der Literatur ganzer Regionen (Afrika, der arabische Raum, Osteuropa), sondern auch in der Fokussierung auf Bestseller. Eine Stichwortsuche für „Charlotte Roche“ auf der Webseite des Spiegel ergab mehr als 380 Treffer. Mindestens ein Drittel davon beschäftigt sich mit ihren Büchern. Viele regionale Zeitungen besitzen gar kein eigenes Feuilleton mehr, sondern delegieren die „kulturelle“ Berichterstattung an andere Ressorts. Zugespitzt formuliert: Das Feuilleton bekommt eben jene Literatur, die es fordert und fördert.

6.) Wer eine „Elitisierung“ der Literatur beklagt, der muss auch dieselben Tendenzen ebenso stark in den Tages- und Wochenzeitungen kritisieren. Eine Studie von Uwe Krüger an der Universität Leipzig kam zu dem Ergebnis, dass der Journalismus „ganz auf der Linie der Elite“ sei, weil der Großteil der deutschen Journalisten aus groß- und gutbürgerlichen Familien stamme. Ich würde zwar so weit nicht gehen, sehe aber eine Tendenz, das im Feuiileton vermehrt die Befindlichkeiten des deutschen Mittelstands diskutiert werden. Das reicht von Essays über Markus Lanz (!) bis hin zu Erörterungen irgendwelcher „Kulturmenschen“, die über Steuererhöhungen und Sozialmigration klagen u damit kein anderes Ziel verfolgen, als ihre eigenen Privilegien gegen andere zu verteidigen – auch gegen sozial Schwächere. Das gilt vor allem auch für die „Zeit“, wo Florian Kesslers Kritik am DLL erschienen ist.

7.) Es gibt viele großartige Bücher von DLL-Absolventen, die ich gegen die Kritik der Saturiertheit und Angepasstheit unbedingt verteidigen würde. Ich nenne keine Namen, Euch werden selbst Autoren einfallen. Vielleicht sehen sich ja andere DLL-Absolventen genötigt, eine Gegenposition zu Kessler zu vertreten – vielleicht in der „Zeit“, wo ein ausformuliertes Essay von mir wenig Chancen hätte veröffentlicht zu werden.

17 Comments on “64. Einwurf

  1. Pingback: 5. Zuß und Ames suchen Streit / IV. Teil | Lyrikzeitung & Poetry News

  2. Pingback: literaturlabor in der Lettrétage: Zuß und Ames suchen Streit / IV. Teil | Lettrétagebuch

    • Hallo Jan, na klar. Aber gegen ein paar Infos aus erster Hand einzuholen, ist ja nichts zu sagen. Hast Du meine Frage oben überlesen? Ich kopiere sie noch mal hierher:
      Was meinst Du mit “Text der sich ausprobiert – eher auf der sprachlichen oder der inhaltlichen Ebene? Oder Beides?

      Like

      • nee. die texte sind doch längst fertig. 🙂 ich wollte nur wissen, ob ich einigermaßen „ins profil“ passe. wenn es alles perfekt und gleichmässig sein soll,, dann gehör ich da nämlich keinesfalls hin. ich würde übrigens trennen, zwischen inhaltlichem und sprachlichem, weil ich denke, dass es auf jeden fall zu trennen ist. da könnten wir jetzt stundenlang diskutieren, aber ich muss los.
        liebe grüße und schönen tag dir, wolkenreisende

        Like

Hinterlasse eine Antwort zu Florian Voß Antwort abbrechen

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..