94. Gulag lebt

Das Ende der Sowjetunion sollte Solschenizyn im Dezember 1991 erleben. Er starb im August 2008 in Moskau. Der GULag aber existiert bis heute.

Das bezeugt der Offene Brief, den Nadeschda Tolokonnikowa, die Sängerin der Punkband „Pussy Riot“, aus dem Straflager IK 14 in Mordowien, fünfhundert Kilometer von Moskau entfernt, geschmuggelt hat. Sie wurde zu zwei Jahren Haft verurteilt und sitzt dort noch bis zum Frühjahr 2014 ein. Nadeschda Tolokonnikowa berichtet von einem System, das sich seit der Zeit der Zaren und der Oktoberrevolution nur in Nuancen verändert hat: Menschen werden gedemütigt, entrechtet und zu Tode geschunden. Die Drecksarbeit der Unterdrückung erledigen die Häftlinge dabei selbst. Die Gefängnisleitung gibt die Befehle, die Kapos führen sie aus. Von dem, was hier geschieht, darf nichts nach außen dringen.

„Wenn sie früher entlassen werden wollen, müssen sie Ihre Schuld anerkennen,“ sagt die stellvertretende Lagerleiterin zur Begrüßung. „Wenn Sie nicht gestehen, werden Sie das nicht erleben.“ Die vorgeschriebenen acht Stunden pro Tag wolle sie arbeiten, sagt die Gefangene Tolokonnikowa, wird jedoch sofort eines anderen belehrt. „Sie müssen die Norm erfüllen. Wenn Sie das nicht tun, machen Sie Überstunden. Vorschrift ist Vorschrift. Wir haben schon ganz andere gebrochen.“ (…)

Nadeschda Tolokonnikowa will nicht schweigen. Sie forderte eine Herabsetzung der Arbeitszeit und bekam von der Lagerleitung zu hören, was ihre Mitgefangene wohl davon hielten, wenn sie die Norm nicht mehr erfüllen könnten. Am Montag ist Nadeschda Tolokonnikowa in Hungerstreik getreten. Tags darauf wurde sie in Isolationshaft verlegt, wegen angeblicher Drohungen von Mitgefangenen. Im russischen Behördenjargon heißt das: Sie ist „an einem sicheren Ort“. Dies sei keine Strafe, sondern eine Reaktion auf den Offenen Brief, sagte der Menschenrechtler Gennadi Morosow. / Michael Hanfeld, FAZ

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