31. Österreichische Literatur

Im selben Jahr, da Nicolai das aufgeklärte Deutschland vom jammervollen Zustand der Literatur in Österreich unterrichtete, schrieb Aloys Blumauer, der bekannteste österreichische Lyriker dieser Zeit: «Wenn die deutsche Literatur, wie sie jetzt ist, noch weiter rücken soll, so muss sie von Wien aus weiter geführt werden.» Darin spricht sich kein geringes Selbstbewusstsein aus, erreichte die deutsche Literatur doch gerade damals ihr Stadium der Weimarer Klassik, in der die auf zahllose Fürstentümer zersplitterte Nation immerhin ihre geistige Einheit auf höchstem Niveau verwirklichte. Blumauer war allerdings kein Klassiker, sondern ein frecher Parodist, der in seinem Versepos «Travestirte Aeneis» die griechische und deutsche Klassik in die Niederungen des Alltäglichen herabzerrte, und dies mit einem leichthändig reimenden Sprachwitz, der erst von Heinrich Heine wieder erreicht wurde. (…)

Als erste österreichische Dichterin firmiert bei Zeyringer eine Adelige aus Niederösterreich, in deren Familie das geheime, verbotene Luthertum eine grosse Rolle spielte. Catharina Regina von Greiffenberg hat in ihrer religiösen Dichtung Jesus betörend sinnlich beschworen und das Spirituelle sexuell aufgeladen. Niemand hat übrigens leidenschaftlicher auf diese Dichterin der Liebe hingewiesen als eine österreichische Liebeslyrikerin von heute, Evelyn Schlag.

Als erster Autor wiederum ist der Greiffenberg der sprachgewaltig donnernde Abraham a Sancta Clara zur Seite gestellt. Dieser Bussprediger und Todesbeschwörer zu Zeiten der Pest, ein jubilierender Verfechter von Kaiser und habsburgischer Herrschaft, hat eine derbe, auflachend-witzige Sprache geschaffen, die zugleich volkstümlich und artifiziell ist (was eine bestimmte Traditionslinie der österreichischen Literatur bis herauf in die Gegenwart zieht). Dazu berichtet Zeyringer von einem Faktum, das, näher betrachtet, geradezu sensationell anmutet: Die Auflage, die Bücher um 1700 in Österreich erreichten, lag bei 1000 bis 1500 Stück, war also ungefähr so hoch wie bei heutigen Neuerscheinungen! Und Abraham a Sancta Clara brachte es mit «Mercks Wien!», einem Buch geharnischter und gewitzter Scheltreden, auf 18000 Stück, was auch für literarische Werke, die heute in Österreich verlegt werden, eine selten erreichte Obergrenze darstellt. / Karl Markus Gauss, NZZ

Klaus Zeyringer / Helmut Gollner: Eine Literaturgeschichte: Österreich seit 1650. Studien-Verlag, Innsbruck 2013. 840 S., Fr. 49.90.

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