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Der Gegensatz, mit dem Rinck spielt, ist nicht schwer zu verstehen. Eine Langschläferin fühlt sich vom gottgefälligen Leben der Tischler bedrängt. Deren Werte liegen ihr fern, sie lebt in einer anderen Welt und kann deswegen nur vermuten, dass Andere die Emsigkeit zu früher Stunde zu schätzen wissen. Im ersten Moment könnte man also denken, das Gedicht verspotte die tumbe Wiederholung des arbeitsamen Lebens. Redewendungen wie „Oberkante Unterlippe“, „immer dieselbe Platte abspielen“ und idiomatische Ausdrücke wie „Nervensäge“, auf die Rinck anspielt, legen das nahe. Ebenso der Stabreim, der das Thema des Immergleichen auf der Klangeben durchspielt.
Aber wir haben es hier nicht mit einem selbstgewissen Ich zu tun, das spotten könnte. Die Bedrohung ist echt. Die Ausdrücke, die das anzeigen, sind gerade in der Art, wie sie sich verbergen, zu kräftig als dass es nur um ein selbstgefälliges, humoriges Lob des Laissez-faire gehen könnte. Der Schmerz steckt im „scherzerfüllt“, die Todesangst im „dengeln“: ein altes Verb für das Schärfen einer Sense, die im kalten Zustand flach gehämmert und so zugleich gehärtet wird. Der Rhythmuswechsel und der deutlich markierte Widerspruch in der Mitte des Gedichts („doch“) betonen die Furcht vor dem Automatismus des redlichen Lebens, auf dessen Geheiß nicht nur Fenster, sondern auch schon Menschen zertreten wurden. / Insa Wilke in der Frankfurter Anthologie über das Gedicht „die tischlerplatte“ aus dem Band
Monika Rinck: „zum fernbleiben der umarmung“. Gedichte. Mit Zeichnungen von Andreas Töpfer. Kookbooks, Idstein 2007. 78 S., br., 14,90 €.
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