28. Verfluchung

Die Verächter der Lyrik sind zahlreich. Es gibt sie unter Politikern und Journalisten ebenso wie unter Literaturprofessoren und Verlegern. In der Regel zeichnen sie sich dadurch aus, dass sie keine Gedichte lesen, aber schlecht über sie sprechen. Lyrik ist ihnen ein Schimpfwort. Wenn sie etwas herabsetzen wollen, bilden sie ein Kompositum mit –lyrik. Parteitagslyrik ist ein solches Wort, Antragslyrik ein anderes. Manche begnügen sich auch mit abwertenden Wendungen wie: Das ist doch nur Lyrik – die mitunter von einer wegwerfenden Geste begleitet werden. Das, wovon da gesprochen wird, ist jedoch nie Lyrik. Es ist nur schwer verständlich, unwahr, schönfärberisch oder aufgeblasen. So stellen sich die Verächter der Lyrik die Gedichte vor, die sie nicht lesen.

Allerdings gibt es auch gebildete Lyrikverächter, selbst unter großen Schriftstellern (unter kleinen natürlich ebenso). Alfred Döblin etwa hat sich 1948 seine Verachtung von der Seele – oder wovon auch sonst – geschrieben. Sein Donnerwort trägt den Titel Verfluchung der lyrischen Poesie und fängt gleich stark an:

„Ich verfluche das lyrische Gedicht. Ich will es nicht sehen und nicht hören. (…)“

/ Dieter Lamping, literaturkritik.de

6 Comments on “28. Verfluchung

  1. Pingback: 42. Dieter Lampings Lyrik-Kolumne « Lyrikzeitung & Poetry News

  2. Die Leute haben ja immer und zu allem eine Meinung, das ist ja nichts Neues.

    Lyrikbände kann man übrigens nicht nur selbst kaufen und lesen, man kann sie auch kaufen und verschenken.

    Like

  3. Die großen Verächter der Lyrik kommen nun daher mit der Bezeichnung Real-Poesie. Da meinen einige Populisten: „Die Lyrik muss wieder verständlich werden, muss auch Menschen ansprechen können, die nicht über akademische Bildung verfügen.“ (welcher Wahnsinn? Wie verrückt!) Dichtung, Hauptsache billig und viel; Realpoesie eben, das kann es doch nicht sein.

    Like

    • das kann es natürlich nicht sein. aber akademische bildung zur voraussetzung für lyrikleser zu machen auch nicht. in wirklichkeit braucht die lyrik aber gar nicht mehr leser, sondern mehr käufer, nicht wahr? 😉

      Like

      • In Zeiten, in denen sogar extrem Peripheres nach relativ kurzer Zeit auf google books erscheint (mit marginalen Auslassungen) hat sich die Kaufthematik sowieso erledigt – terreur für alle Lyriker, die zwar sowieso noch nie davon leben konnten, nun aber … ach lassen wir das …

        Like

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..