2. Meine Anthologie: Traumwärts

Robert Herrick (1591-1674)

DREAMS

Here we are all, by day; by night we’re hurl’d
By dreams, each one into a several world.

Die Briten konnten konzise fünfhebige Verse eher als wir. Die Deutschen fingen später an und taten es zunächst lieber den Franzosen nach, die den Zwölfsilbler bevorzugten, den Alexandriner. Der ist im Französischen freilich viel geschmeidiger, so sehr, daß wir bei Baudelaire gar nicht bemerken, daß der Erfinder der modernen Lyrik den im Deutschen arg altmodischen Vers benutzt. Shakespeare und seine Zeitgenossen benutzten den jambischen Fünfheber (iambic pentameter sagt man im Englischen), so auch der jüngere Robert Herrick, der ein älterer Zeitgenosse der deutschen Dichter war, die man später Barockdichter nannte.

Den Deutschen hindert nicht nur verspätete Übung, sondern wohl vor allem, daß wir längere Wörter haben. Herrick hat nur zwei mehrsilbige Wörter, into und several. Im Deutschen sind alle, all, geschleudert, hurled, Träume, dreams mehrsilbig, kommt die Grammatik hinzu: wir brauchen immer mehr Silben als jene. Ich teile nicht die Aversion der Kritiker gegen Biermanns Übersetzung der Shakespearesonette, der aus diesem Befund den Schluß zog, die Zehnsilber zwölfsilbig zu verdeutschen. Das versgetreue Übersetzen nötigt zu mancherlei Willkür im Weglassen und hinzufügen. Über den Chor der Biermannhasser ein andermal. Hier genüge der Hinweis, daß eine Übersetzung, auch seine, ja nicht die anderen verdrängt, sondern nur eine weitere hinzufügt. Reicher wird die Literatur unserer Sprache, nicht ärmer. Arm, zumindest ärmer wäre sie, wären wir bei Schlegel stehengeblieben, der immer noch da ist.

Ich versuchte Herricks Epigramm metrisch und gereimt zu verdeutschen, es gelingt nicht. Zuviel muß weg. Man muß sich entscheiden. Ich verzichte schweren Herzens auf das „geschleudert“, eine großartige Wendung, Auch dann noch will es sich nicht fügen, „jeder“ steht quer. Aber dann, warum nicht aus dem Original borgen, fast jeder Deutsche, der Herrick liest, versteht zumindest ein wenig Englisch. Ich benutze einfach sein Wort, makkaronisch mag man das nennen, dann gehts so:

Träume

Da sind wir alle, tags gut aufgestellt.
Nachts, traumwärts, each in seiner eignen Welt.

2 Comments on “2. Meine Anthologie: Traumwärts

  1. hier ein versuch in alexandrinern, biermann hin oder her, dem erzmetrum für deutschsprachige sinnsprüche und epigrammata von logau über angelus silesius bis wernicke:

    Hier sind am Tag wir all / nicht aber nachts gesellt,
    denn Träume drängen uns / jeden in seine Welt.

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