Das Archiv der Lyriknachrichten | Seit 2001 | News that stays news
Der 1931 im kanadischen Montréal als Sohn eines englischsprachigen Vaters und einer französischsprachigen Mutter geborene Gelehrte und langjährige Philosophieprofessor an der dortigen McGill University gilt spätestens seit seinem 1989 publizierten Buch „Quellen des Selbst – Die Entstehung der neuzeitlichen Identität“ als einer der wichtigsten Denker der Gegenwart. In diesem Werk versucht Taylor zu zeigen, dass der moderne Individualismus sich aus unterschiedlichen Quellen und Motiven speist, die sich teilweise heftig widersprechen. Denn einerseits geht es dem neuzeitlichen Subjekt um eine kühle, distanzierte, desengagierte Betrachtung der Welt, andererseits aber um eine expressive, leidenschaftliche Verwirklichung des eigenen Potenzials.
Aus diesen Widersprüchen speist sich das „Unbehagen an der Moderne“ (so der Titel eines Essays von Taylor). Wegen dieser Kritik des neuzeitlichen Individualismus hat man Taylor das Etikett eines „Kommunitaristen“ verpasst. Der kanadische Philosoph hat seine Auffassung selbst einmal so zusammengefasst: „Die Idee, dass das Individuum ganz neu den Sinn seines Lebens erfindet, ohne den Anderen, ohne die Gesellschaft und ohne Religion – das ist meiner Ansicht nach eine Illusion.“
Das heißt nun freilich nicht, dass sich Taylor in jene Zeiten zurücksehnt, „als sich alle einer Mitte neigten / und auch die Denker nur den Gott gedacht“ (so Gottfried Benn in seinem Gedicht „Verlorenes Ich“). Er begreift die heutige Situation vielmehr als eine, in der man sich bewusst für den Glauben entscheiden kann – oder auch nicht. / Rolf Spinnler, Tagesspiegel 6.1.
Charles Taylor: Ein säkulares Zeitalter. Aus dem Englischen von Joachim Schulte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2009. 1300 Seiten, 68 Euro.
Neueste Kommentare