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Spätestens zu Ende der 1940er-Jahre verabschiedet sich Arno Schmidt von der Lyrik als literarischer Kunstform. Den Erzähler des Romans „Aus dem Leben eines Fauns“ lässt er dekretieren: „So: Epos, Lyrik, Ballade: das ist nichts für mich“. Diese Aussage gilt zu diesem Zeitpunkt auch für Schmidt selbst. Dennoch hat er über einen beträchtlichen Fundus an englischsprachigen Gedichten und Liedern verfügt, und Spuren dieser Texte finden sich in allem, was Schmidt bis zu seinem Tod 1979 geschrieben hat.
Vieles von dem, was in diesen Fundus eingegangen ist, hat Schmidt sich schon in seiner frühen Lebens- und Lesezeit (bis etwa 1950) angeeignet; eine Anthologie dieser Gedichte und Lieder erschien vor fünf Jahren unter dem Titel „Music at Night“. Der nun vorgelegte Band „Ships in the Night“ schließt daran an und präsentiert vor allem solche lyrischen Texte, die Schmidt in späteren Jahren kennengelernt und wiederum in sein eigenes Werk eingearbeitet hat.
Einige der Autoren, die Schmidt in den 1950er und 1960er-Jahren ihrer Prosa wegen rezipiert, haben auch Gedichte geschrieben (etwa die Geschwister Brontë, Lewis Carroll und auch Edward Bulwer Lytton), und natürlich hat Schmidt mit dem Gesamtwerk solcher Autoren auch die lyrischen Teile zur Kenntnis genommen. Bei der Arbeit an „Zettel’s Traum“ dann kann er bei den Analysen der Werke von Edgar Allan Poe dessen Gedichte keineswegs auslassen; überhaupt sind unter den von Schmidt so genannten „Dichterpriestern“ überdurchschnittlich viele Lyriker, und so kehrt er in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre lesend und analysierend zur Lyrik zurück – nicht weil er plötzlich wieder ein Herz für Gedichte entdeckt hätte, sondern weil Gedichte und ihre typischen Autoren für seine psychoanalytisch unterfütterten neuen Analysemethoden sich als besonders fruchtbar erweisen. / literaturkritik.de
Friedhelm Rathjen (Hg.): Ships in the night. Arno Schmidt’s Second Garden of Verses.
Edition ReJOYCE, Scheeßel 2009.
172 , 17,00 EUR.
ISBN-13: 9783000293696
„Auf dreierlei Art ist es, daß sich ein redlich Strebender um die leidende Menschheit verdient machen kann : entweder er wird Denker und Forscher, und zieht so schärfer die Grenzlinie zwischen Wahrem und Falschem; oder er predigt und übt Güte, lindert Schmerzen, und beschränkt damit das Böse; oder er wird Künstler und vermehrt so die Summe der Tröstungen. ‚Denn der Ursprung aller Poesie ist ja das Verlangen nach wilderer Schönheit, nach kristallener Gerechtigkeit, nach elfischeren Gebärden und Worten als unser irdenes Gestirn vermag; Poesie selbst ist ja der leidenschaftlich-hilflose Versuch. den seligen Durst zu stillen, und gelingt dies auch nur schmerzhaft unzulänglich, findet dieses Sehnen auch nur einmal karge Erfüllung – wenn es geschieht, wird rauschend solche Seligkeit frei, gegen die jed’anderer menschlicher Aufschwung schlaff und belanglos erscheint. Dann erwacht bei jedem Laut der Leier ein luftiges und nicht stets deutbares Echo, aber erregend ist’s und hebt die Seele in Unbetretbarkeiten. Dann, aus jeder musischen Andeutung, spüren wir mit geweiteten Augen Bildermeere und Fabelküsten, und rätseln an bestürzend glühenden Visionen geistiger Schöne hinter (!) dem Schlüsselwort“
aus „Arno Schmidts Wundertüte“
aus einem fiktiven Brief Schmidts an W. Carl Neumann (wegen seiner gräulichen Übersetzung Poes)
Arno Schmidt Stiftung
S. 152
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