3. „Junge Lyrik aus Sachsen“

Google streut breit und spült allerlei an den Strand, das um unsere Aufmerksamkeit buhlt. So gerade „Junge Lyrik aus Sachsen“, das interessiert mich ja. Die Einleitung ist dürftigst Disparates zusammenzwingend, was wenig wundert, weil gängige Münze im Netz:

Junge Lyrik hat es schwer. Verlage jedweder Couleur bevorzugen Prosa und vor allem Sachbücher. Selbst ein Hans Magnus Enzensberger hat den eigenen Schwerpunkt inzwischen auf Essays verlegt. Unter dem Pseudonym Andreas Thalmayr warb er 2004 mit der Lesehilfe „Lyrik nervt!“ für die Gattung. Der zweiundzwanzigjährige Dresdner Student Dirk Hack will dem Trend mit den 2009 im eigenen Waldwurzelverlag erschienenen „Fliehenden Gedankensplittern“ entgegenwirken.

Soll man sich damit auseinandersetzen? Lohnt kaum. Und Dirk Hack? Leider zitiert der Rezensent keine einzige Zeile, nur mal 2 bis 4 Worte. Offenbar wohlweislich:

In metrisch mitunter holpernden, doch inhaltlich anspruchsvollen Kreuzreimen verhandelt er Heidentum, Alltagsgedanken und Naturphilosophie.

Inhaltlich anspruchsvoll: das heißt für den Rezensenten vor allem Heidentum – das Wort kommt gleich dreimal vor. Der Dichter stehe in der Tradition der Romantik, Eichendorff, Tieck, Claudius werden genannt, „aber auch“ Neofolk. Worin da die Rettung der deutschen Lyrik (oder auch nur der jungen) liegen soll, bleibt merkwürdig dunkel, wird sozusagen nur geraunt (gerunt). Will sagen, wer so über „junge Lyrik in Sachsen“ spricht, hat entweder keine Ahnung von der Szene in Leipzig, Dresden oder Chemnitz oder er zählt das bewußt nicht mit. Man muß die Tendenz genau herauslesen: aus dem Wortschatz (Heide, Rune, Neofolk geben eine Spur). Aus dem Nichterwähnten (junge wie ältere Lyrik werden ja nicht seltener gedruckt als irgendwo früher). Aus Andeutungen: „Der junge Dichter folgt einer festen Reimstruktur und integriert Mond, Sonne und Wald als Symbole eines wiederkehrenden Naturgesetzes.“ Worauf es hier ankommt, ist die „feste Reimstruktur“. Um das zu entziffern, muß man weiter ausgreifen. Eine andere Lyrikrezension der mir von Google zugespielten Quelle gilt dem 1989 in Nordhausen am Harz geborenen Florian Kiesewetter:

Die erste Regung des jungen Dichters ist Opposition gegen die Oberflächlichkeit des Alltags und die herkömmliche Rechtlichkeit. [Der Blog behauptet von sich, Klartext zu sprechen, aber ist gespickt mit Andeutungen: „herkömmliche Rechtlichkeit“] Die Zeilen des Buches sind entsprechend [entsprechend: also etwa „neue“ oder „wahre“ Rechtlichkeit, oder heißt die Opposition „Un-Rechtlichkeit“, klarer wirds nicht] fest gereimt und weisen eindeutige Klangfarben auf. [„eindeutige Klangfarben“: sie sprechen verdammt noch mal Klartext] Ein Hauch [!] von humanistischer Prägung verknüpft sich hier mit heimatlicher Verbundenheit [ist das im Sinne „eindeutiger Klangfarben“ etwas anderes als „Heimatverbundenheit“?]. Entgegen der deutschen Ortsverwerfung und den entortenden Tendenzen der Nachkriegszeit ist die „Heimat“ für Kiesewetter der Boden des Seins und der Harz ein „holdes Sagenland“. [Hervorhebungen von mir, MG]

Klarer wirds nicht, soviel ist klar. Die Sprache dieses Blogs ist alles andere als Klartext: verschwurbelt, vernebelt. Entweder haben sie kein Gefühl für korrektes Deutsch oder sie wollen vernebeln. Über Dirk Hack heißt es ganz „entsprechend“:

Dabei kontrastiert er „froher Tage Wonne“ und Melancholie, die „uns in Nebel hüllt“.

Nebel, der, wie eingangs betont, dem Niedergang der Lyrik entgegenwirken will. Na denn!

Von Kiesewetter werden zwei Strophen zitiert, hier eine davon:

Ist der Traum von Tausend Jahren
Eine Täuschung mit drei Nulln?
Sind es nichts als Dichter-Schrulln,
Wenn wir nach dem Grale fahren?

Wir können zusammenfassen: fest [wenn auch hier nicht geradezu „kreuz“-]gereimt, heimatlich verbunden und in „eindeutigen“ – nicht Aussagen sondern – „Klangfarben“ präsentiert sich uns nichts weniger als die Rettung der deutschen Lyrik. So zukunftsschwanger klingt die Rezension aus:

Und meinte Theodor Adorno noch, nach „Auschwitz“ ein Gedicht zu schreiben, sei barbarisch, so wissen moderne und heimatverbundene Leser deutscher Lyrik nun, daß deutsche Lyrik wieder eine Zukunft haben könnte.

Für meinen Geschmack ein bißchen viel Relativierung: „wissen“ vs. „haben könnte“: vermutlich bin ich einfach kein „moderner und heimatverbundener“ Leser. Modern und skeptisch paßt mir besser. Von deutscher Lyrik haben die nicht allzuviel Ahnung, weder alter noch moderner, weder alt-ungereimter noch modern-gereimter usw. Immerhin erkennen sie (Kreuz-)Reime und halten sie für eine Art Ausweis – wofür genau, sagen sie nicht. (Qualität kann es nicht sein!) Das raunen sie nur wortreich.

Umso sprechender ihr politischer Kontext, kleine Zusammenstellung ohne Kommentar:

Strafbefehl gegen Bischof Williamson wegen Holocaustleugnung
Im Gespräch mit einer Südtiroler Schülerin: „Der Unabhängigkeitsgeist ist bei den jungen Leuten vorhanden.“ („über die Wiedervereinigung mit Österreich, die Tiroler Jugend und Überfremdung“)
Linksextremisten stören „Marsch für das Leben“
Zum Tod Jürgen Riegers: Auch dieser Mann hat Gerechtigkeit verdient

„Blaue Narzisse. lesen und handeln“ steht über dem Blog, der sich als Teil einer „konservativen Revolution“ versteht. Wie sie handeln, erfährt man nicht, und lesen? Jedenfalls haben sie lyrisch nicht viel zu bieten. Sie gleichen das dadurch aus, daß sie aus ihren Kreisen ein Genie nach dem anderen ausrufen.

Nachzutragen bleibt, daß der heilversprechende Gedichtband von Florian Kiesewetter in Uwe Lammlas Arnshaugk-Verlag erscheint. Vgl. hier:

159. Lammla und andere Dichter

 

6 Comments on “3. „Junge Lyrik aus Sachsen“

  1. beim Nachlesen meines Kommentars stelle ich als einzige Fahrlässigkeit die Wendung „aus ihren Kreisen“ am Schluß fest. Das bedaure ich: wenn „die“ über Enzensberger oder Rathenow sprechen, gehören die ja auch nicht zu „ihren Kreisen“. Das war unüberlegt, ein Zungenschlag, keine Meinung: ich entschuldige mich dafür bei Ihnen. Es war ja „nur“ eine Glosse. Würde ich die drucken, ich nähme die 4 Wörter heraus.

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  2. Ach und eins noch: Verbinden Sie mich bitte keineswegs mit Schlagworten wie „Neue Rechte“! Meine politische Gesinnung geht keineswegs, nicht mal annähernd, in eine derartige Richtung, sie schlägt da eher in das Gegenteil. Wenn meine Verse bei Ihnen den Eindruck erwägen, ich könnte faschistischen oder rassistischen Gedanken etwas abgewinnen, so weisen Sie mich bitte auf die exakten Verse hin und ich werde Ihnen gerne etwas dazu sagen.

    Beste Grüße
    Florian Kiesewetter

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    • siehe meinen obigen Kommentar. Nie, nirgends habe ich darüber gesprochen. Ich spreche über das Vokabular und den Kontext der zitierten Rezensionen, nicht über Gedichte, die ich nicht gelesen habe. Über „die“ Rezensenten sage ich: „Von deutscher Lyrik haben die nicht allzuviel Ahnung, weder alter noch moderner, weder alt-ungereimter noch modern-gereimter usw.“ Das ist meine Meinung, die ich mir aus der Lektüre der beiden Rezensionen gebildet habe. Dann spreche ich über den politischen Kontext der Seite. Daß Ihr Name dort drinsteht, ist nicht mein Werk. Das haben „die“ getan, deren literarischem Urteil ich nicht traue und deren politische Implikationen (zumindest bei Bigalke, der mir aus jener Szene bekannt ist, weil ich mich außer für Lyrik auch für Politik interessiere) mir suspekt sind.

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  3. Schönen Guten Abend,

    ich möchte keineswegs Ihre Tätigkeit als Kritiker und als Mensch, der seine Meinung sagt, kritisieren. Ich möchte Sie nur darauf hinweisen, dass Sie ein wenig zu direkt mit meinem Namen umgehen. Was über mich gesagt oder geschrieben oder, wie Sie es eventuell verstehen, behauptet wird, wurde nicht von meiner Seite aus beordert. Ich habe keinen gebeten solche Worte über mich zu verlieren, wie es in den Rezensionen getan wird (obwohl ich hier nicht sage, dass ich es nicht schmeichelhaft finde). Ich habe lediglich meine Gedichte geschrieben und Uwe Lammla hat sie veröffentlicht. Wenn manche Leute schreiben, die deutsche Dichtung hätte u.a. wegen meiner kleinen Sammlung neue Hoffnung, so möchte ich Sie bitten deutlich zu machen, dass dies andere gesagt haben. Indem Sie die Rezension kritisieren, verurteilen Sie auch die Verse meinerseits, die darin behandelt werden.

    Vielen Dank
    Florian Kiesewetter

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    • Sehr geehrter Herr Kiesewetter,
      Ihrem letzten Satz muß ich widersprechen. Man kann sehr wohl eine Rezension kritisieren, ohne die zitierten Gedichte zu „verurteilen“. Ich „verurteile“ übrigens auch die Rezension nicht, ich hab mir nur ein Urteil gebildet. Ihre Verse kann ich nicht beurteilen, weil ich sie nicht kenne. Ich hab über google einen Artikel unter der Überschrift „Junge Lyrik aus Sachsen“ gefunden, das interessiert mich, weil ich a) Lyrik lese und neugierig bin und b) junge Lyrik aus Sachsen kenne und auch hier gelegentlich darüber geschrieben habe. Was ich von der Rezension halte, habe ich gesagt. Ich mißtraue ihr, zuerst weil mir die Einleitung allzu forsch und nicht allzu informiert scheint. Darüber habe ich ironisch geschrieben. Dann habe ich mich auf der Seite umgesehen, ein paar eher schwache Gedichte gefunden, eine Rezension über Lutz Rathenow, den ich keineswegs für „rechts“ oder neurechts halte, und die Rezension über Sie. Ich habe einige Bücher von Rathenow gelesen, keins von Ihnen. In der Rezension fiel mir dann auf, daß dieselbe Wortverbindung von „fest“ und „Reim“ von zwei unterschiedlichen Rezensenten verwendet wird. Rezensent Schüller: „Der junge Dichter folgt einer festen Reimstruktur und integriert Mond, Sonne und Wald als Symbole eines wiederkehrenden Naturgesetzes.“ Und Bigalke: „Die erste Regung des jungen Dichters ist Opposition gegen die Oberflächlichkeit des Alltags und die herkömmliche Rechtlichkeit. Die Zeilen des Buches sind entsprechend fest gereimt und weisen eindeutige Klangfarben auf.“ Das finde ich erst einmal komisch (die fixe Wortverbindung). Das habe ich glossiert und auf den Kontext der Seite bezogen, der allerdings politisch ist und von einer Farbe, die mir suspekt ist. Über Ihre Gedichte habe ich gar nichts gesagt, außer daß die zitierten vier Zeilen nicht kreuzgereimt sind. Alles andere bezieht sich auf den Kontext der Seite und damit auch der Rezensenten, über den ich mir ein Urteil erlaubt habe.

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      • Was Sie gesagt haben, möchte ich Ihnen gerne zugute halten und ich kann selbstverständlich Ihre Darlegung nachvollziehen, doch befürchte ich, da diese Website doch viele Leser hat, dass der eine oder andere das nicht richtig versteht oder anders aufnimmt. Das soll eigentlich mein Hauptbedenken sein.
        Das Schlagwort „Neue Rechte“ ärgert mich noch ein wenig und – ich stamme aus Thüringen, nicht aus Sachsen.

        Danke für Ihre schnelle Antwort,
        Florian Kiesewetter

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