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Die Zeiten für Lyrik sind schlecht. Nicht allein, dass höchstens „Verschenkbücher“ mit indiskutablen Sentimentalitäten auf erwähnenswerte Auflagen hoffen dürfen – auch den professionell mit Literatur Befassten, seien sie Kritiker oder Wissenschaftler, fällt es meist schwer, die Qualität eines Gedichts nicht nur zu fühlen, sondern sie auch mit handwerklichen Begriffen zu begründen. Kann man sagen, dass die vielen gewollt kunstfeindlichen Gedichte daran Schuld tragen? Die unzähligen Beispiele einer Pseudo-Lyrik, von einer willkürlich in Verse gebrochenen Prosa, die dann auf seitenverschwenderische Weise gedruckt wird?
Von Schuld zu sprechen, wäre allerdings moralisierend. Brechts Ansatz einer reimlosen Lyrik mit unregelmäßiger Metrik, so viel Schaden sie bei den Nachfolgern angerichtet hat, besaß doch seine historische Berechtigung angesichts eines blöden Jamben- und Trochäen-Geklappers, angesichts der ohne jeden Gedanken abgerufenen Naturbilder mit Wald und Mond und Nebel, die die Produktion der Mehrzahl seiner Zeitgenossen entwerteten. Der modernistische Einspruch hat zur positiven Folge, dass nun die Tradition sich legitimieren muss. Sie hat heute nicht mehr die Gewohnheit auf ihrer Seite, sondern muss die erprobten Mittel Gedicht für Gedicht neu begründen. In dialektischer Umkehr findet sie sich heute in einer Situation wie früher eine verantwortliche Moderne, die noch nicht zum Kunstgewerbe herabgekommen war und von den Dichtern ein waches Bewusstsein verlangte.
Dass dies produktiv sein kann, hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem Peter Hacks bewiesen, dessen reflektiert klassizistische Gedichte überkommenen Formen und Motiven ganz neue Inhalte abgewonnen haben. Werner Makowski stellt sich in diese Tradition. Der 1950 geborene und noch zu DDR-Zeiten am Leipziger Literaturinstitut ausgebildete Dichter bezieht sich immer wieder auf das Vorbild. Gedichte auf Hacks’ gesammeltes lyrisches Werk und auf dessen Tod könnten den Verdacht wecken, hier sei ein Epigone am Werk, wie auch der letzte Text der Sammlung, „Die Göttin humaner Staatsvernunft“, den Makowski in einer Fußnote als Fortschreibung der „Pandora“-Stücke von Goethe und Hacks herausstellt.
Epigonen freilich sind ängstlich bemüht, ihren minderen Status zu verbergen. Gerade dass Makowski seine Bezüge offenlegt, erlaubt den entgegengesetzten Schluss: dass hier jemand bewusst nicht bei Null beginnt, sondern von Vorgängern lernt und eine Tradition auf eigene Weise fortschreibt. Manche Themen und Formen finden sich zwar schon bei Hacks – ein antimodernes, goethesches Lob des produktiven Eros oder bös aktualisierende, zweizeilige Couplets. Die wesentliche Frage ist indessen die nach Makowskis Eigenem, das er der Tradition abgewinnt. / Kai Köhler, literaturkritik.de
Werner Makowski: Stille Gesellschaft. Gedichte.
Verlag André Thiele, Mainz 2009.
160 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783940884053
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