48. «Letzte Gedichte»

Es ist sicherlich eine gewagte Entscheidung des Herausgebers, Michael Hamburgers jüngst auf Deutsch erschienenen Band als «Letzte Gedichte» zu betiteln, denn ins bloss Faktische spielt zwangsläufig auch die Aura des Vermächtnisses hinein, des finalen, noch vorm Tod geäusserten Willens und Wortes. «Letzte Gedichte» enthält sämtliche Texte aus Hamburgers letzter Publikation, «Circling the Square» (2007), und darüber hinaus alle bis zu seinem Tod im Juni 2007 geschriebenen Gedichte und ist somit tatsächlich der Abschluss eines der grossen, unabhängigen, aufrichtigen Dichtwerke des zwanzigsten Jahrhunderts.

Das Alter und die Tücken des Alterns werden von Hamburger immerfort thematisiert, ein Nachlassen der dichterischen Imagination ist indessen an keiner Stelle zu spüren. Mit traumwandlerischer Sicherheit und einer leicht ironisch distanzierten Gelassenheit registriert der Dichter die zunehmenden Gebrechen und die abnehmende Lebenszeit und sieht zugleich darin «Dieses Wunder: Wieder aufzustehen, / Täglich, mit dem ersten Licht, / Um diese Winterluft zu lieben, / Prall vom verringerten Mehr». Hamburgers Klagen sind Elegien in unmittelbarer Nachbarschaft zum Preislied, jede Weinerlichkeit ist ihnen vollends fremd.

Bis zum Schluss ist Hamburger ein scharfzüngig kritisierender Moralist gegenüber einer sich in Schwund und Borniertheit tummelnden Gesellschaft geblieben. Einmal ruft er laut und deutlich: «draussen / Ist alles Hektik, Manipulation, / Von den Erfindern der Zeit / <Nachrichten> und <Geschichte> genannt», dann wieder bedauert er mit stiller Melancholie den Wandel zum Schlechteren: «Unser Dorfladen und die Post / Genauso Dinge der Vergangenheit, / Der wöchentliche Bus wird eben abgeschafft.» / Jürgen Brôcan, NZZ 8.9.

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