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Um ihm Hauslärm zu ersparen, hatte sie schon 1940 in eine Abtreibung eingewilligt. Als sie nach dem Tod ihrer Mutter zusammenzubrechen droht, kommt es erneut zu einer Schwangerschaft; Palm intensiviert in dieser Zeit seine Reisetätigkeit und hat eine Affäre im Ausland. Domin erleidet eine Fehlgeburt – für sie, wie es in einem der Briefe heisst, ein Zeichen, «dass mein Körper sich weigerte von Dir ein Kind zu haben». Am Ende nimmt sie den egomanen Gatten wieder auf, der gereizt ihre Wandlung zur Lyrikerin verfolgt («Erwin ist so entsetzt, als ob die Katze auf einmal Eier legte») und später, wie zur Strafe, an seiner Frau das Phänomen des Dichterruhms studieren darf.
Domins furiose Briefe an Palm zeigen, in welchem Mass das verlorene Kind Movens ihres Schreibens war. Eines ihrer berühmtesten Gedichte, «Geburtstage», handelt von Poesie als Mutterschaftsersatz: «Ich habe niemand ans Licht gezwängt / nur Worte.» Nachzulesen ist es jetzt in einer neuen, schön gestalteten Gesamtausgabe der Domin-Gedichte, die auch 23 bisher unbekannte Texte aus dem Nachlass präsentiert. Ein brillanter Kurzessay von Ruth Klüger verdeutlicht, dass nicht nur Verzicht und Entbehrung aus diesen Versen spricht. Die Wort-Geburten sind, anders als die unfertigen Menschenkinder, auf faszinierende Weise schon im Augenblick ihres Erscheinens selbständig: «Worte drehen nicht den Kopf / sie stehen auf / sofort / und gehn.» / Manfred Koch, NZZ 27.7.
Hilde Domin: Die Liebe im Exil. Briefe an Erwin Walter Palm aus den Jahren 1931–1959. Hrsg. von Jan Bürger und Frank Druffner. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 2009. 379 S., Fr. 34.90. Hilde Domin: Sämtliche Gedichte. Hrsg. v. Nikola Herweg und Melanie Reinhold. Mit einem Nachwort von Ruth Klüger. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 2009. 351 S., Fr. 29.–.
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