38. Preis für Avantgarde

Die Entscheidung für Jelinek bedeutete – das erste Mal in der Geschichte des Literaturnobelpreises – eine Entscheidung für das literarische Prinzip der Avantgarde.

schreibt Ina Hartwig in der FR vom 10.12. und führt aus:

Man konnte also gespannt sein, was die Grande Dame in ihrer Nobelvorlesung sagen würde, und vor allem, wie sie es tun würde. Soviel steht fest: Sie machte ihrem Namen als Avantgardistin alle Ehre. „Im Abseits“ heißt der Textteppich, in dem das Thema „Ich und die Sprache“ in unendlich vielen, raffinierten wie absichtlich plumpen Wendungen variiert wird. Der Text ist zunächst zweierlei nicht: Er ist nicht explizit politisch, und er ist nicht obszön. Vielmehr hat Jelinek einen ihr gemäßen Lord-Chandos-Brief verfasst, in dem die Sprache sowohl als Qual als auch als Schutz abgeklopft wird. Sie, die Sprache, wird zum Statthalter, zum Hohlraum, der mit Bedeutung gefüllt, dann wieder von Bedeutung entsorgt wird. Der Herzschlag des Textes ist dieses Hin- und Her, und die Sprache nimmt dabei verschiedene Aggregatzustände an: Voll – leer. Tief – hohl. Wirklich – unwirklich. Erhaben – verblödet.

Diese Sprachkritik ist, natürlich, zugleich Kulturkritik. Denn wie kaum anders zu erwarten, berührt sie das diffizile Verhältnis zwischen dem Ich und den anderen. Während das Ich „im Abseits“ steht – dem einzig möglichen Ort der Dichtung -, gehen die anderen mit ihrer Handysprache, die sie nicht verstehen, aber sprechen, auf sicherem Weg und „kraulen“ die Sprache am Bauch, wie einen Schoßhund. Diese geschundene, ja hündische Sprache ist wie ein glibbriges, fettgefressenes, gefallsüchtiges, unterwürfiges und doch ungehorsames Etwas. Kein Wunder, dass das Ich sich einsam fühlt, zumal ein Herr Heidegger die Sprache gewissermaßen von oben her malträtiert, während Hölderlin und Celan schon verloren zu haben scheinen.

Die Nobelpreisrede im Text und als Video
In der BLZ vom 10.12. schreibt Julia Kospach über die Nobel-Kandidatenkür.

 

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