25. Würzburger Hofbräu und die deutsche Lyrik

Die FAZ kann sich bei Robert Gernhardt für ein (eines von zweien, okay! Das andere: Picasso und Ingres) Glanzlicht des Ostersonnabend-Feuilletons bedanken. In der Frankfurter Anthologie kommentiert er das Gedicht „Hör zu“ von Gottfried Benn. Hier zwei von vier Strophen (Hier das ganze Gedicht mit dem Kommentar eines siebzehnjährigen Heidelbergers namens Peter Schmid, der wenige Monate nach dem Aufsatz verstorben ist. Seine Interpretation kann sich neben Gernhardt sehen lassen – ihre Schwächen reflektieren neben dem geringen Maß an Erfahrung die Schwächen seiner Lehrer**):

Hör zu, so wird der letzte Abend sein,
wo du noch ausgehn kannst: du rauchst die „Juno“,
„Würzburger Hofbräu“ drei, und liest die Uno,
wie sie der „Spiegel“ sieht, du sitzt allein

an kleinem Tisch, an abgeschlossenem Rund
dicht an der Heizung, denn du liebst das Warme.
Um dich das Menschentum und sein Gebarme,
das Ehepaar und der verhasste Hund.

Man wünschte Schülern wie ihm Lehrer, die sich selbstverständlich von Gernhardts Kommentar anregen und irritieren lassen. (Wo? FAZ 10.4. 2004, S. 42. Leider nicht im Netz lesbar – zum Schaden also der Volksbildung [Lehrer und Feuilletonisten eingeschlossen] und der FAZ, wie mir scheint! Salute!).
Gernhardts Kommentar gibt dem Urteil Ursula Ziebarths – nicht in sämtlichen Details – Recht, die das Gedicht lobte. Benn entschied sich dagegen – es erschien postum 1960 im „Merkur“. Sein Kernargument:

Von Zeit zu Zeit muß das Gedicht entpoetisiert werden, und Gottfried Benn war zweimal dazu berufen, ihm diesen Dienst zu leisten. So, wie sein „ersoffener Bierkutscher“ am Jahrhundertbeginn das Ende von Goldschnittlyrik und Decadence-Gedichten einläutete, so räumen seine drei Gläser „Würzburger Hofbräu“ auf mit dem Gräserbewisper und dem falschen Trost der Nachkriegsdichtung.

Gernhardt hat Recht – das passiert nebenher in diesem Gedicht und nicht in etlichen der vielinterpretierten Gedichte der „Statischen“ Zeit kurz vorher, die selber manches „Seraphische“ mitschleppen.

**) greifbar in einem Detail. Schmid schreibt: „Das Gedicht weist kein eindeutiges Metrum auf. Am ehesten ist es ein Jambus.“ Dabei ist das Gedicht bis auf die um zwei Silben kürzere letzte – fünfte – Zeile der letzten Strophe, die ein hinzugefügter Kehraus ist, ein völlig regelgerechter fünfhebiger Jambus, quasi der europäische Zentralvers – einschließlich der im Jambus seit allem Anfang (den alten Griechen) erlaubten und gebotenen Abweichung der Anaklasis (Vertauschung des ersten Jambus durch einen Trochäus) in der dritten und sechsten Zeile). (Benn benutzt die Figur schon in der ersten Zeile des ersten veröffentlichten Gedichts „Gefilde der Unseligen“ von 1910. Benn und Brecht hatten das noch in der Schule gelernt.

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