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Veröffentlicht am 18. Juni 2003 von rekalisch
Manchmal muss man schon die verborgensten Winkel der poetischen Tradition ausleuchten, um sich an die Schreibvoraussetzungen unserer zeitgenössischen Dichter herantasten zu können. Auch wer als Lyriker die gesteigerte Gegenwärtigkeit des Sprechens im freien Vers erreichen will, sucht für diese halsbrecherische Art lyrischer Artistik zuverlässige Unterstützung in den Grundbüchern der Moderne. Im Fall des Lyrikers Mirko Bonné, der bislang als Autor zweier Romane auf sich aufmerksam gemacht hat, ist der literarische Schlüsseltext ein Brief des englischen Romantikers John Keats , der vermutlich im Dezember 1817 abgefasst worden ist. Dieser Brief umspielt eine ästhetische Offenbarung, die auch heute noch als schönste Beschreibung der lyrischen Disposition gelten kann. Keats spricht darin von der negative capability , also von einer „negativen Befähigung“, die eintrete, „wenn einer fähig ist, in Unsicherheiten zu sein, in Unerklärlichkeiten, in Zweifeln, ohne dem ärgerlichen Ausstrecken nach Faktum und Vernunft“. …
Jede Gedichtzeile, so Bonné in Anlehnung an Keats, soll so lange als möglich im unsicheren Neuland bleiben. In den schönen Verrätselungen von Gedichten wie „Sonja“ oder „Ode an Null“ durchmisst man dieses unbegrenzbare Terrain – ohne immer den „Helden Hibiskus“ blühen zu sehen./ Michael Braun, FR 18.6.03
Mirko Bonné: Hibiskus Code. Gedichte. DuMont Verlag, Köln 2003, 90 Seiten, 17,90 €.
Kategorie: Deutsch, DeutschlandSchlagworte: John Keats, Michael Braun, Mirko Bonné
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