Walser über Hölderlin

Die Dichter, nicht alle natürlich, aber die, sagen wir einmal, die zuverlässigsten, die sind nicht so leicht ins Positive verführbar gewesen. Zum Beispiel Hölderlin.

In der Konkordanz, die wir Professor Böschenstein verdanken, habe ich nachgezählt: Im Spätwerk kommt kein Wort so häufig vor wie „Gott“, „Götter“, „göttlich“, 320-mal. „Himmel“ und „Himmlische“ 280-mal. Aber wie kommen diese Wörter vor! So, dass der Leser unmittelbar mitschwingt, wenn die Hölderlin-Sprache diese Wörter anstimmt. Man kann’s natürlich interpretieren. Aber es genügt auch das bloße Nennen. Das ist sogar das meiste. Das Nachbeten nämlich. Ich habe immer nichts lieber getan, als Hölderlin-Verse nachzubeten. Eines dieser Gedichte muss hier genannt werden, ein ganz spätes, das, überschriftslos, so lautet:

Was ist Gott? unbekannt, dennoch
Voll Eigenschaften ist das Angesicht
Des Himmels von ihm. Die Blitze nämlich
Der Zorn sind eines Gottes. Je mehr ist eins
Unsichtbar, schicket es sich in Fremdes. Aber der Donner
Der Ruhm ist Gottes. Die Liebe zur Unsterblichkeit
Das Eigentum auch, wie das unsere,
Ist eines Gottes.

Die Zeit 04/2003 [zugleich unsere Gratulation für Susan Sontag zum 70. – im Kursiv]

/16.01.03

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..