Giordano Brunos Welt-Kombinatorik

Durch Sprache wird für Bruno die Welt konstituiert. Die Dialoge über die heroischen Leidenschaften haben ihre Angelpunkte in Sonetten und Kanzonen, in denen das brunianische Denken sich kristallisiert und deren Auslegung den Inhalt der Dialoge ausmacht.
Wichtiger für eine heutige Frage nach den Entstehungsmöglichkeiten von Poesie ist aber Brunos Kombinatorik, die er in seinen Gedächtnismaschinen in immer wieder anderen Verknüpfungsregeln fixiert hat. Bruno benutzt die Sprache in Analogie zur Flüchtigkeit und Wechselhaftigkeit der Erscheinungen, des Fühlens und Denkens, was für ihn heißt, dass die Wörter keine einmalige, festgelegte Bedeutung haben, dass ihre Bedeutung abhängt von der Konstellation, in der sie stehen, und dass auch diese Bedeutung bei der nächsten Drehung des Rades sich wieder ändert und dass sogar der lexikalische Referenzbezug zerrissen sein kann, weil die Wörter nur noch auf sich verweisen.
Von den vielen kombinatorischen Verfahren nenne ich nur einige wenige. So bedenkt er die Ähnlichkeit von Wortanfängen und -schlüssen, Kopf und Schwanz, und gelangt für den Kopf von asinus zu asylum, von generans zu Genesis, von parturiens zu Paralipomena, den nicht-kanonischen Büchern der Bibel. Für einen Schwanz bringt er templum und contemplatio, für die Ähnlichkeitsbeziehung eines ganzen Wortes speculum und speculatio. Durch reine Lautassoziation erinnert, wie er sagt, equus an aequus, vitis an vita. Andererseits benutzt er so genannte Summationsschemata: caro, nix und fex ergibt carnifex, den Verbrecher; granum, vitis und pirum ergibt grande vituperum, den großen Tadel; cor und nix führt zu cornix, dem Raben. / Klaus Reichert, FR 14.12.02

In dem Artikel kommentiert der Autor ein eigenes Gedicht, das sich an Hölderlins Fragment Kolomb anknüpft und nach „brunianischen Verfahren“ gebaut ist.

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