Da atmet man richtig auf, denn oft haben Gegenwartsgedichte ja etwas entsetzlich Peinliches, und das nicht nur, weil sie meist zu betulich und wichtigtuerisch sind. Vielmehr liegen sie vor allem deshalb so oft grausam daneben, weil viele Lyriker in Gedichten unter ihr sonstiges Denk- und Empfindungsniveau gehen, gerade so, als könnte man mit Gedichten alles machen.
Frühlingsgedichte.Ausgewählt von Evelyne Polt-Heinzl und Christine Schmidjell. Reclam, Stuttgart 2001. 85 S., 5 Mark.
Norbert Hummelt:Zeichen im Schnee.Gedichte. Luchterhand,München 2001. 104 S., 18,50 Mark.
Rainald Goetz:Jahrzehnt der schönen Frauen.Merve, Berlin 2001. 213 S., 26 Mark.
Sergej Jessenin:Ein Rest von Freude.Gedichte. Aus dem Russischen von Paul Celan, Elke Erb,Rainer Kirsch u.v.a. Luchterhand, München 2001. 172 S., 19,50 Mark
/ (31.1.01)
dem herrn unserem gott / hat es ganz und gar nicht gefallen / dass gustav e. lips / durch einen verkehrsunfall starb . Als experimentierfreudiger Autor hat er seit Ende der 50er-Jahre die Lyrik und Prosa der deutschschweizerischen Literatur erneuert. Heute wird Kurt Marti 80 Jahre alt und mit einer Neuedition seiner „Leichenreden“ geehrt. /Aargauer Zeitung 31.1.01
Das erste Buch des Pfarrers hieß „Boulevard Bikini“. Man muss sich das vorstellen: Schweiz, 1958, die selbstgefällige Nation war noch intakt, erst allmählich machten sich einige Stimmen breit, die den Mythos der erfolgreichen „Landesverteidigung“ nicht glaubten; auch 1968 war noch in weiter Ferne, und da schreibt Kurt Marti, 37, Pfarrer in Niederlenz, auch in seinem zweiten Band, den „republikanischen Gedichten“, Texte gegen die spießige Umgebung, voller Spott, den er nie ganz verlieren wird: „Die Damen knien im Dome schulternackt, / noch im Gebet kokett und photogen, / indes die Herren, konjunkturbefrackt, / diskret auf ihre Armbanduhren sehn.“ / Süddeutsche Zeitung 31.1.01
Wie lesen Komponisten die Dichtung Hölderlins? Wie wird seine Dichtung zu Klang? Eine Dichtung, die selber schon so eminent musikalisch, klanglich so präzise komponiert ist? Fragen, denen das Collegium Novum Zürich an zwei Konzerten am letzten Wochenende in der Zürcher Tonhalle nachging. Am Schluss von Hölderlins Hymnenfragment „An die Madonna“ eröffnen sich Dimensionen, dass man meint, auf einem Spiralnebel durch das Universum zu sausen. (Zender, Kurtag, Ligeti u.a.) / NZZ 31.1.01
Haiku, Senryu, Renshi : Bei Uli Becker kommt es zum interkulturellen Clash von östlichen Gedichtformen mit dem Westen. Mit Durs Grünbein, Makato Ooka, JunkoTakahashi und Shuntaro Tanikawa dichtete er am Fuße des Fudschijama. / DIETRICH ZUR NEDDEN, taz 30.1.01
Siebzehn Silben bloss
hintereinander stoppeln:
ist das ein Haiku?Nein, eigentlich nicht. Denn ein Haiku, diese japanische Form eines reimlosen Mikrogedichts in drei Zeilen mit 5-7-5 Silben, habe Natur pur zu sein, so will es die jahrhundertealte Tradition: Frühling, Kirschblüte, Sommer, Mondlicht, Herbst, Wolken, Winter, Schnee, der ganze Kram, “ QUASI ANGESCHAUT“, MEDITATION VERDICHTET, UND, GESPROCHEN.
Baumgartner, der die Gedichte präzise und dennoch mit Musikalität und bildlichem Spielraum ins Deutsche übertragen hat, stellt der Sammlung Gedicht Nr. 4 aus „Leben am Strom“ als Motto voran. Es nimmt das Bezeichnende vieler Gedichte dieser – wie alle Bodoni – Drucke des Waldgut-Verlags – auch typographisch schön gestalteten Sammlung vorweg: „Herrliche Engelwurzkronen schwirren / mit Samenrädern und Wohlgeruch. / An der Wurzel liegen ein Mensch / und eine Schlange. Jedes im Bann des anderen? / Der arglose Mensch / begegnet dem Schlangenauge in einem Aufblitzen. / Verstehen springt über, und Entsetzen. / Ist das möglich? / Wer bin ich?“ / Christine Holliger, NZZ 30.1.01
Tarjei Vesaas: Leben am Strom. Gedichte. Herausgegeben und aus dem Norwegischen übersetzt von Walter Baumgartner. Verlag Im Waldgut, Frauenfeld 2000 (Bodoni Druck 60). 60 S., Fr. 30.-
… “musste ich dafür sorgen, dass mein Mann möglichst gut arbeiten konnte und, dass er und mein Kind möglichst glücklich waren”, behauptete zwar die Büchner-Preisträgerin Marie Luise Kaschnitz immer wieder, aber schrieb einen Bestseller nach dem anderen, um den Blick “des Lesers auf die gefährliche, bestürzende Fülle der Welt” zu lenken. Am 31.1. wäre sie hundert geworden. Grund genug für ihren Schwiegersohn, den Komponisten Dieter Schnebel, einige der Kaschnitz-Gedichte für das Audiobuch “ohne aufenthalt sind wir” (2000 SWR) zu vertonen. Ob ihre Verse uns noch 26 Jahre nach ihrem Tod erreichen? Oh, doch. Allein ihr Sprachrhythmus könnte so manchen HipHoper beflügeln. / Die Welt 28.1.01
Berlin (ots) – Unter dem Titel „Weltklang – Nacht der Poesie“ findet am 30. Juni 2001 zum zweiten Mal eine große Open-Air-Lyrikveranstaltung auf dem DaimlerChrysler Areal am Potsdamer Platz statt. Zehn international renommierte Dichterinnen und Dichter lesen aus ihren Werken. Die in der jeweiligen Muttersprache vorgetragene Lyrik ist klang- und rhythmusbetont. Eine von der Berliner Künstlerin Gunda Förster eigens für das Festival und den Platz konzipierte Licht-Klang-Installation unterstreicht diesen Aspekt und macht „Weltklang“ zu einem beeindruckenden Konzert aus Worten, Stimmen, Licht und Klang. Im Jahr zuvor waren über 5000 Besucher auf den Potsdamer Platz gekommen, um weltbekannten Dichtern wie Adonis, Ben Okri, Volker Braun und Inger Christensen zuzuhören. Die Veranstaltung, die von literaturWERKstatt berlin organisiert und von der DaimlerChrysler AG gesponsert wird, fand damals zum Abschluss des Literatur Express Europa 2000 statt.
Weitere Informationen:
literaturWERKstatt berlin
Dr. Thomas Wohlfahrt
Tel.: 030/48 52 45 22
Dr. Christiane Lange
Tel.: 030/48 52 45 36
„Welt“-Debatte mit (u.a.) einem zweiten, diesmal auch online zu findenden Biermann-Beitrag. Der „Chef-Kultur-Korrespondent“ des Blattes lobt die unvollkommene Demokratie und die Liberalisierung der CDU: „so rasant, dass schon 30 Jahre später eine junge evangelische FDJlerin“ Vorsitzende werden konnte. / Die Welt 27.1.01 (Außerdem im gleichen Blatt ein Gedicht von Biermann: „Kein Ton Iwrith“)
auch in der „Welt“: Eigenwillige Zeitzeugenschaft: Marie Luise Kaschnitz zum 100. Geburtstag. Von Hannes Schwenger:
Wie leicht geht einem die Floskel über die Lippen, jemand sei ein zeitgenössischer Autor. Aber was meint sie eigentlich? Marie Luise Kaschnitz hat es in einer Rede die Aufgabe der Schriftsteller genannt, „die Botschaften ihrer Zeitgenossen weiterzugeben“, während eine zeitgenössische Literaturgeschichte ihr als Autorin gerade ihre „Überzeitlichkeit“ (Ralf Schnell) nachrühmt (oder vorwirft?). / Die Welt 27.1.01
In der Frankfurter Anthologie stellt Ulla Hahn ein Gedicht von Marie-Luise Kaschnitz vor: „Gennazzano am Abend/ Winterlich/ Gläsernes Klappern/ Der Eselshufe…“ – Lyrik auch bei den Kollegen von der „Welt“: Ich bin wie ein Kind, das nicht mehr weinen darf . Gedicht von Michel Houellebecq
Zu den dunkleren Traditionen des Leonce-und-Lena-Wettbewerbs, der ja dem Dichter-Nachwuchs gewidmet ist, gehört auch die Ignoranz der Vorjurys, die mit blamabler Beharrlichkeit die interessanten jungen Dichter dieser Jahre einfach übersahen. So konnte Thomas Kling, der diesmal als Ehrengast des „Literarischen März“ geladen war, in schöner Ironie den Darmstädter Mundartdichter Ernst Elias Niebergall paraphrasieren, um seine eigene Chancenlosigkeit in Erinnerung zu rufen: „Ich kumm in Darmstadt uff kahn grihne Ast“. / schreibt Michael Braun in der FR, 27.3.01
erinnert sich ihrer Lebensjahre mit Louis Fürnberg:
Von Lotte Fürnberg, die „die Wende nur schwer verkraften“ konnte, kommt ein zögerliches Ja. „Vielleicht mußte man unsere Erfahrungen machen. Wir haben große Hoffnungen gehabt. Fürnberg ist aus Güte Kommunist geworden, aber wir haben viel Falsches geglaubt, große Fehler gemacht. Nicht in der Struktur sahen wir das Übel, sondern in einzelnen Menschen wie Stalin.“ Nach einer Pause: „Es ist so viel Blut umsonst geflossen.“ / Berliner Zeitung 26.1.01
by Tristan Tzara , translations by Julian Semilian / Exquisite Corpse . A Journal of Letters and Life
by Wolf Biermann , translated by Ina Pfitzner / Exquisite Corpse . A Journal of Letters and Life
Neueste Kommentare