Traueranfälle

Die 1924 in Wien geborene Schriftstellerin Friederike Mayröcker gilt als herausragende Vertreterin einer als experimentell bezeichneten Literatur. Der Verlag Rommerskirchen (Rolandseck) legte jetzt eine von der Autorin gestaltete neue Nummer der Zeitschrift Signatur unter dem Titel Wildfieber vor (32 S., Abbildungen plus CD, im Acrylglasschuber, 168 EUR). Für die Ausgabe schuf die Künstlerin den zweifarbigen Steindruck „-.wir knootzten (lümmelten) Schulter an Schulter. .“.
Mit der Zeichnung und auch im Text spielt die Schriftstellerin auf gemeinsame Konzertbesuche mit ihrem Lebensgefährten an, dem vor 20 Monaten gestorbenen Lyriker Ernst Jandl, mit dem sie 40 Jahre zusammenlebte. Sein Tod löst in Friederike Mayröcker noch immer Traueranfälle aus, die sie beschreibt und – wenn sie nicht mehr zu beschreiben sind – auch zeichnet. / Südwest Presse 6.9.02

Ulrike Draesner gewinnt Lesereise

Der in diesem Frühjahr auf der Leipziger Buchmesse erstmals vergebene Preis der Literaturhäuser ist eine besondere Auszeichnung: Verliehen wird er nicht nur für die Qualität eines literarischen Textes, sondern auch für die seines Vortrags auf einer Lesung. Gewonnen wird eine Lesereise durch acht Literaturhäuser, aus deren Gage sich das Preisgeld zusammensetzt. Preisträgerin ist Ulrike Draesner.
Terminplan auf FAZ.NET*). 5.9.02

Anna-Seghers-Preis für Lutz Seiler

Der Anna-Seghers-Literaturpreis 2002 geht an den chilenischen Schriftsteller Rafael Gumucio und seinen deutschen Kollegen Lutz Seiler. Wie die Anna-Seghers-Stiftung gestern in Berlin mitteilte, wird die mit 25 000 Euro dotierte Auszeichnung den Autoren am 24. November in der Akademie der Künste verliehen. Der Lyriker Lutz Seiler habe „außergewöhnlichen poetischen Bildsinn und hohe musikalische Sprachkraft“ bewiesen.

/ 5.9.02

Literaturpreis der Nürnberger Kulturläden

Das Thema lautet „Moving Cultures – Kulturen in Bewegung“. Einsendeschluss ist der 12. Januar 2003. Ausschreibungsmodalitäten gibt es im Kulturladen Nord, Siefried Straßner, Tel. 09 11/55 33 87 und per E-Mail unter kuno@odn.de

/ 5.9.02

Gernhardt-Priester

Spätestens seit dem „Annus Mirabilis 1997“, in dem der Segen angestauter Hymnen und aufgesparter Preise jubiläumsbedingt auf ihn niederprasselte, ist Robert Gernhardt, einst gefürchtet als einer der schärfsten Kritiker der Elche, der meistgeliebte und gesellschaftsfähigste unter den lebenden deutschen Poeten. Wo man früher Anstoß an ihm nahm, hätschelt man ihn heute als begnadeten Verseschmied mit rundgeschliffenen Ecken und eingewebter Goldkante. Das Sinistre dieses Vorgangs bannt er im Sonett: „Lobesmassen / treiben mich in immer höh’re Zonen, / wo um Ruhmestempel Feuer flammen // Und mich Gernhardt- Priester liebend fassen: / ,Herr! Geruh in diesem Haus zu wohnen!‘ / Anbetend brech ich vor mir zusammen.“ / KRISTINA MAIDT–ZINKE, SZ 5.9.02

ROBERT GERNHARDT: Im Glück und anderswo. Gedichte. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002. 286 Seiten, 19,90 Euro

Hannoversche Punktierungen

Die Hannoversche Allgemeine (5.9.02) meldet, daß der weißrussische Dichter Ales Rasanau zum Ende seines mit dem Hannah-Arendt-Stipendiums verbundenen Aufenthalts einen Gedichtband veröffentlicht:

Ales Rasanau: „Hannoversche Punktierungen”, Weißrussisch/Deutsch, 96 Seiten. Revonnah-Verlag Hannover, 14 Euro.

The heading says it all

L.A. Poet Dares to Blast Angelou, Stirs Up a Storm

Slam Queen vs. Inaugural Poet

Ein Bericht über eine ketzerische Besprechung einer offenbar sakrosankten Autorin, Maya Angelou, durch die „Slam Queen“ Wanda Coleman aus L.A., die die dortigen Gemüter bewegte – ein innerwestlicher clash of cultures. / The Village Voice 4.9.02

Inaugural poet könnte man etwa übersetzen mit: Kaiser-Geburtstags-Dichter (Wolf Biermann)

Im Diesseits verschwunden

Der Reim ist die letzte grosse Ordnung vor der befürchteten Ordnungslosigkeit, er ist der allmählich ausgehende Atem des Sprechenden: «Zu viel wär übertrieben. / Zu wenig: wenig wert. / Und was ich aufgeschrieben, / was ich verdammt, verehrt, / ist schliesslich aufgezehrt. / Nichts ist davon geblieben. / Was bleibt, sind leere Hände: / so geht die Zeit zu Ende.»
Für uns, die Leser dieser von Krolow in den letzten drei Lebensjahren verfassten Gedichte, kann sie, dank auch dieser hervorragenden Edition, noch einmal beginnen. / Kurt Drawert, NZZ 4.9.02

Karl Krolow: Im Diesseits verschwinden. Gedichte aus dem Nachlass. Herausgegeben von Peter Härtling und Rainer Weiss, mit einem Nachwort von Peter Härtling. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main 2002. 221 S., Fr. 34.40.

Lyrik als Beispiel

ENZENSBERGER: Ich glaube nämlich, daß die intellektuelle und künstlerische Produktion nur sehr schwer totzukriegen ist. Die Lyrik zum Beispiel, die mir persönlich sehr am Herzen liegt, wäre nach allen ökonomischen Gesichtspunkten schon immer zum Aussterben verurteilt gewesen, und trotzdem hält sie sich nach wie vor, notfalls eben in der Form der Samisdat. Das Unkraut setzt sich auf irgendeine Weise durch. Dabei kann auch das Internet eine Rolle spielen, wie man etwa in China sieht, einem Land, in dem eine freie Presse überhaupt nicht existiert.

BARBIER: Das stimmt. Die Lyrik scheint ein Gut zu sein, das zugleich sein eigener Marktpromoter ist. Wenn es gut geht, schafft sich Lyrik eine Gesellschaft, die bereit ist, sie für viel Geld am ökonomischen Leben zu erhalten. / FAZ 4.9.02

Ledergerbers Gedichtladen

Die Stunde schlägt heute der dänischen Lyrikerin Inger Christensen: neunmal, von 10 bis 18 Uhr, nimmt Ivo Ledergerber den schmalen Band «Schmetterlingstal» zur Hand, aus dem Worte wie Sommervögel flattern. Vor Augen hat Ledergerber dabei die «pummelige Frau», die er bei den Lyriktagen Frauenfeld ihre so sinnlichen Gedichte so eintönig und leise lesen hörte. «Eine gottbegnadete Säuferin», sagt er, und Erdenschwere legt sich auf die Flügel des Traumgewürms in ihren Sonetten. / St. Galler Tagblatt 4.9.02

Über die Nacht der Literatur

… an der Expo 02 berichtet die NZZ am 2.9.:

Hätte Peter Weber – begleitet von Anton Bruhins Maultrommeln – das gebieterische Zischen seines «maresciallo del silenzio» aus der Sixtinischen Kapelle nicht erst kurz vor Mitternacht vernehmen lassen, wäre das Unerhörte dieser Poesie vielleicht nicht ungehört in den dunklen Weiten des Monoliths verhallt. …

Und wer sich immer schon gewundert hatte, wie Hugo Balls «Karawanen» in russischer Übersetzung klingen mögen, kam weit nach Mitternacht mit Valeri Scherstjanoi auf seine Rechnung: Der späte Zögling des russischen Futurismus beherrschte die leisen wie die lauten Töne gleichermassen, bewies indes eine entschiedene Vorliebe für Letzteres. Das wiederum verband ihn mit Michael Lentz, der in dem Poem «Wie es früher war» eine «komplette Zusammenfassung meiner Kindheit» ins Mikrophon brüllte.

Bericht im Landboten, 3.9.

Über die Nacht der Literatur

an der Expo 02 berichtet die NZZ am 2.9.02:

Hätte Peter Weber – begleitet von Anton Bruhins Maultrommeln – das gebieterische Zischen seines «maresciallo del silenzio» aus der Sixtinischen Kapelle nicht erst kurz vor Mitternacht vernehmen lassen, wäre das Unerhörte dieser Poesie vielleicht nicht ungehört in den dunklen Weiten des Monoliths verhallt. …

Und wer sich immer schon gewundert hatte, wie Hugo Balls «Karawanen» in russischer Übersetzung klingen mögen, kam weit nach Mitternacht mit Valeri Scherstjanoi auf seine Rechnung: Der späte Zögling des russischen Futurismus beherrschte die leisen wie die lauten Töne gleichermassen, bewies indes eine entschiedene Vorliebe für Letzteres. Das wiederum verband ihn mit Michael Lentz, der in dem Poem «Wie es früher war» eine «komplette Zusammenfassung meiner Kindheit» ins Mikrophon brüllte.

Bericht im Landboten, 3.9.02

Erlanger Poetenfest

Dorothea Dieckmann berichtet über das Erlanger Poetenfest, NZZ 2.9.02 – Volker Breidecker in der Süddeutschen am 3.9. – Katrin Hillgruber in der FR, 3.9. – Edo Reents in der FAZ, 3.9. – Im Titel-Magazin gibts Gedichte des Schlagzeugers Steffen Moddrow.

Erträglicher Beckett

Zum Streit um Becketts Gedichte schreibt Hans-Peter Kunisch in der SZ, 2.9.02:

Erst in den 40er Jahren habe Beckett erträgliche Gedichte geschrieben, die zuvor entstandenen seien rhythmisch unverfehlt und unerträglich gelehrt. Calders Edition, die beinahe sechzig Jahre jener Lyrik vorstellt, die Beckett offenbar sein Schriftsteller-Leben lang wichtig war, zeigt, dass dem nicht in allen Fällen so ist. Die frühen Gedichte, oft französisch (in Calders Edition, so vorhanden, in Becketts eigener Übersetzung) sind gelehrter, aber auch verspielter als die späten Gedichte und Becketts Stücke.

SWR-Bestenliste September

4. ( – ) – 21 Punkte

FRANZ JOSEF CZERNIN: Elemente, Sonette
Carl Hanser Verlag, 17,90 Euro

5. ( -2.) – 21 Punkte

UNICA ZÜRN: Gesamtausgabe in 8 Bänden
Verlag Brinkmann & Bose, 221,00 Euro

Persönliche Empfehlung von Sibylle Cramer (Berlin):

ANDRE DU BOUCHET: Bruchstücke vom Berg für die Landstraße verwendet
Gedichte und Aufzeichnungen. Französisch/Deutsch
Lyrik Kabinett München, 24 Euro

Die Bestenliste im Internet:

www.swr.de/bestenliste

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