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„Geist der Peinlichkeit“, so lautet der Titel eines Buchs, das 2022 bei Engeler erschien und dem als Motto vorangestellt ist:
dies lies wenn du bereit bist entsprechend zu handeln
Auf 200 Seiten kurze Stücke, selten mehr als eine Seite lang, oft kürzer, manchmal 2, ja bis zu 3 auf einer Seite, die alle mit „Die Peinlichkeit“ beginnen, 200 oder mehr Definitionen der Peinlichkeit des Lebens als Mensch und Dichter, ein Glossar der existenziellen Blöße, ein Katalog menschlicher Selbstverstrickung zwischen Witz, Scham und Erleuchtung. Hier sind zwei daraus.
Birgit Kempker
(geboren 1956 in Wuppertal, lebt in Basel und Solothurn)
Die Peinlichkeit, bedingungslos verstanden werden zu wollen, unbedingt.
Du willst ums Verrecken verstanden werden, sonst ist es umsonst, dein Leben, und du musst es wieder tun, die Inkarnation.
– Ist Verständlichkeit Selbstähnlichkeit oder Strafarbeit?
Du bist eine schwere Aufgabe, liebt niemand hier Schweres? Hallo? Das Belohnungssystem ist happy nach Bewältigung von Schwerem. Es boostert dein Immunsystem. Es ist schwer, immer leicht zu sein.
Ich bin dope für dich. Ich bin dein Tor. Nicht die Substanz. Ich stülpe dich um und wuchte dich durch dich durch in eine andere Dimension.
– Dopamin killt Serotonin.
– Und wenn ich selbst die Tür bin?
– Nehme ich.
Aus: Birgit Kempker: Geist der Peinlichkeit. Schupfart: Engeler Verlag 2022 (Band 10 der Neuen Sammlung), S. 32
Die Peinlichkeit, lieber mit einer Pflanze
connecten zu wollen als mit einem Menschen,
dir mehr zu versprechen von der Pflanze, die dir
nichts verspricht, als sie zu verstehen, wie sie tickt,
als ob davon dein eigenes enormes vegetatives
Ticken abhängt und deine Verbindung zum
Universum, warum denn bloss Verbindung?
– O Gottchen, diese Connectivität, salvia divinorum.
Du putzt die Innenbacke und kaust die Pflanze.
– Humans überschätzen das Atmen, sagt die Pflanze
Luftnot, deine.
– Ich ertrinke
– Sinke
Ebd. S. 128
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