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Veröffentlicht am 7. Oktober 2025 von lyrikzeitung
Oskar Maria Graf (1894–1967)
DIE VERLORENE GENERATION
Sie leuchten nicht mehr, jene Bilder,
die wir so lang in uns getragen.
Sie sind wie alte Straßenschilder,
verwittert und mit Rost beschlagen.
Sie klingen nicht mehr, unsre Lieder,
die wir gedichtet und gesungen.
Wir finden nur die leeren Worte wieder,
die Melodie ist längst verklungen.
Wir schworen blind auf große Thesen.
Sie sind wie Wind im Nichts zerblasen.
Und über allem liegt ein lähmendes ›Gewissen‹,
wir gleiten haltlos in sein Treibenlassen.
So leiden wir das dumpfe Weiterleben
und werden von der Zeit zerrieben.
Was in uns war, was wir dem Tag gegeben,
ist ohne jede Spur geblieben.
Und während wir mit kranken Sinnen
schmerzlich zurück ins Innre fliehn,
erheben sich rundum erstarrte Mienen,
die geisterhaft vorüberziehn.
Auch sie entschwinden wie verwischte Zeichen
aus jenen unerschöpften Jahren,
in die wir wie ein ständiges Verweichen
hineingeboren waren.
Quelle: Poesiealbum 393. Oskar Maria Graf. Auswahl Ulrich Kaufmann. Bilder von Karl Arnold. Wilhelmshorst: MärkischerVerlag, 2025, S. 17
Kategorie: Deutsch, DeutschlandSchlagworte: deutsche Lyrik, Die verlorene Generation, Exillyrik, Expressionismus, Gedichte, Karl Arnold, Literaturgeschichte, MärkischerVerlag, Nachkriegslyrik, Oskar Maria Graf, Poesiealbum 393, Ulrich Kaufmann, Wilhelmshorst
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