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Pierre de Ronsard
(* 6. September 1524, heute vor 500 Jahren, im Château de la Possonnière bei Couture-sur-Loir; † 27. Dezember 1585 im Priorat Saint-Cosme bei La Riche, Touraine)
XVI
Mein Leiden will ich quer durch Frankreich jagen,
Noch schneller als ein Pfeil fliegt, den wir schießen,
Ich will mit Honig mir mein Ohr verschließen:
Meine Sirene soll mich nicht mehr plagen.
Ich will aus meinen Augen Quellen schlagen,
Fels wird der Kopf, das Herz soll Feuer gießen,
Aus meinen Füßen sollen Wurzeln sprießen:
Ich kann der Schönheit Nähe nicht ertragen.
Dass mein Gedanke doch zum Vogel werde!
Mein Seufzer feg gleich Zephyrn um die Erde
Und trage meine Klage himmelwärts!
Dass ich aus fahlen Farben im Gesicht
An meinem Loir mir eine Blume zücht,
Die meinen Namen malt, und meinen Schmerz.
Aus dem Französischen von Georg Holzer, aus: Pierre de Ronsard, Amoren für Cassandre. Le Premier Livre des Amours. Französisch-Deutsch. Übersetzt von Georg Holzer. Hrsg. u. kommentiert von Carolin Fischer. Berlin: Elfenbein, 2006, S. 23
XVI
Je veux pousser par la France ma peine,
Plus tôt qu'un trait ne vole au décocher;
Je veux de miel mes oreilles boucher,
Pour n'ouir plus la voix de ma Sirène.
Je veux muer mes deux yeux en fontaine,
Mon cœur en feu, ma tête en un rocher,
Mes pieds en tronc, pour jamais n'approcher
De sa beauté si fièrement humaine.
Je veux changer mes pensers en oiseaux,
Mes doux soupirs en Zéphyres nouveaux,
Qui par le monde éventeront ma plainte.
Je veux du teint de ma pâle couleur,
Aux bords du Loir enfanter une fleur,
Qui de mon nom et de mon mal soit peinte.
Ebd. S. 22
Aus dem Kommentar der Herausgeberin:
Ronsard verknüpft hier relativ geläufige Metaphern für Tränen oder Liebesschmerz mit einer Fülle mythologischer Anspielungen, die er teilweise verkehrt. So wachsen die Blumen bei ihm nicht aus dem Blut des Geliebten, sondern aus der Blässe des Liebenden. Außerdem finden wir am Anfang und Ende „nationalistische“ Klänge. Hieß es ursprünglich, das Leiden solle durchs »Universum« gejagt werden, beschränkt sich dieser Wunsch in einer späteren Ausgabe auf »Frankreich«. Der Loir, ein nördlicher Nebenfluss der Loire, fließt in Ronsards Heimat nahe Vendôme und taucht wiederholt als Sehnsuchtsort in den Amoren auf.
A.a.O. S. 291
Wer mehr will, kann die experimentellen Übersetzungen aus dem Übersetzungsheft der Zeitschrift „Zwischen den Zeilen“ (Nummer 23, Oktober 2004) lesen.
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