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Heute ein Crashkurs durch die deutsche Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts in französischer Optik.
Jean Cocteau
(* 5. Juli 1889 in Maisons-Laffitte bei Paris; † 11. Oktober 1963 in Milly-la-Forêt bei Paris)
Ein zwei drei
Voyez le vieux Goethe il sautille
comme une chèvre, sur le Vésuve ;
il porte un livre grec, un herbier,
un filet à papillons.
Il casse des gros morceaux de Vésuve
et en remplit ses poches.
Car la fin des vacances d'Eckermann
approche.
Henri Heine aimait bien Paris,
le beau juif mort d'amourettes.
Nietzsche achetait ce qu'on trouve
à la gare de Sils Maria,
des livres de Gyp, de Paul Bourget.
Zarathoustra est un vieux guide suisse,
mais son diamant raye tout.
Brûlé aux lampes, le fauteuil
de Weimar, sa sœur ouvre.
On ne peut plus le voir, c'est fini.
Qui trop devine et qui trop parle
sera cruellement puni.
Eins, zwei, drei
Seht den alten Goethe: er hüpft
wie eine Ziege über den Vesuv;
er trägt ein griechisches Buch, ein Herbarium,
ein Schmetterlingsnetz.
Er zerschlägt große Stücke vom Vesuv
und füllt damit seine Taschen.
Denn das Ende von Eckermanns Ferien
naht.
Heinrich Heine liebte gar sehr Paris,
der schöne Jude, der an Liebeleien starb.
Nietzsche kaufte, was man so findet
am Bahnhof von Sils Maria:
Bücher von Gyp und von Paul Bourget.
Zarathustra ist ein alter Schweizer Bergführer,
aber sein Diamant schneidet alles.
Von den Lampen versengt, der Sessel
zu Weimar. Seine Schwester macht auf.
Er ist nicht mehr zu sprechen. Vorbei.
Wer zuviel ahnt und zuviel spricht
wird grausam bestraft.
Aus: Poèmes Français. Französische Gedichte. Nach dem Ergebnis einer Umfrage bei den Mitgliedern der Académie française herausgegeben und übersetzt von Ulrich Friedrich Müller unter Mitarbeit von Henri Perrin. Ebenhausen bei München: LANGEWIESCHE-BRANDT, 1963 (2. Auf., 1. 1960), S. 150f
Zur Übersetzungsmethode heißt es in dem Buch:
Die deutschen Übersetzungen in diesem Buch sollen allein dazu dienen, dem Leser das Verstehen der französischen Gedichte zu ermöglichen. Sie folgen deshalb Zeile für Zeile dem Originaltext und sind – unter Verzicht auf den Reim und die gleiche Zahl der Hebungen im Vers – so präzise gehalten, wie es der deutsche Satzbau und die deutsche Idiomatik irgend erlaubten. Eine ungezwungene rhythmische Annäherung an die Vorlage ist dazu bestimmt, diese Interlinearversion zu beleben und als Lyrik-Übersetzung auszuweisen.
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