Alter Professor

Theodor Kramer 

(* 1. Jänner 1897 in Niederhollabrunn, Österreich; † 3. April 1958 in Wien)

Der alte Gelehrte

Für meine Schüler halt ich offen Haus;
sie kommen immer noch zu mir heraus,
sie kommen nicht, um mir Gesell zu sein,
sie kommen nur zu meinem guten Wein.

Oft kommen sie zu ungewohnter Zeit,
um mir zu sagen, wie ihr Werk gedeiht;
sie kommen nicht um Rat für ihre Seel,
sie kommen nur, damit ich sie empfehl.

Die Foliobände schaun auf mich vom Bord:
schüf er an seinem großen Buch noch fort,
er stellte neben uns manch neuen Kauf
und spielte nicht als unser Freund sich auf.

Aus: Theodor Kramer: Gesammelte Gedichte. Hrsg. Erwin Chvojka. Band 1. Wien, München, Zürich: Europaverlag, 1984, S. 505. – Laut Angaben in dieser Ausgabe (a.a.O. Bd. 3) trug das Gedicht auch den Titel „Der alte Professor“. Es wurde aus einem stark überarbeiteten Manuskript ediert. Für die Frankfurter Anthologie der FAZ interpretierte Jan Philipp Reemtsma das Gedicht. Übrigens sollen tausende Gedichte Kramers bis heute unveröffentlicht sein.

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