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F.C. (Friedrich Christian) Delius ist vorgestern in Berlin gestorben. Hier ein Gedicht aus den fernen 70ern, 8 mal 7 Jahre her.
F.C. Delius
(* 13. Februar 1943 in Rom; † 30. Mai 2022 in Berlin)
Lob des Gehirns Von Eric Burdon eine Platte hatte ich aufgelegt und las in der Zeitung, was ein Hirnforscher sagte: unser Gehirn muß täglich so viel Informationen speichern und verarbeiten wie früher im ganzen Leben, da dacht ich, höchste Zeit für ein Lob, ein Lob unsern schwer arbeitenden Hirnen!, während die Zellen da oben schon wieder in Aufruhr waren, Eric Burdons Schreie, die lösten solche elektrochemischen, elektromechanischen Prozesse aus, Drüsen und Muskeln tobten, und ich dachte nur einfach: schöne Musik. Voll geladen mit Informationen sind meine 12 Milliarden Nervenzellen, und ein paar Millionen sind immer dabei, bei jeder Bewegung, jedem Blick, und wenn die Phantasie loslegt oder die Aufmerksamkeit für deinen großen Zeh oder wenn wir unsre Körper heftig aneinanderreiben, finden dort oben die aufregendsten Prozesse statt. Ich weiß nicht, wie mein Kopf mit Burdon fertig wird. Ich weiß nichts von dem ständigen Aufnehmen, Verarbeiten und Filtern der ständigen Reize, ich weiß nur, was ich heute weiß, ist in sieben Jahren nur noch die Hälfte wert. So naiv lernen wir und wälzen die bescheidene Unendlichkeit des Gedächtnisses ständig um. Und ein besonderes Lob, sagt Eric Burdon, verdienen all die überladenen Schädel, die noch dazu den ständigen Frühlingsdonner, die permanenten Erregungen der Hoffnung weiterleiten.
Aus: F.C. Delius: Ein Bankier auf der Flucht. Gedichte und Reisebilder. Berlin: Rotbuch, 1975, S. 10
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