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Veröffentlicht am 13. Oktober 2017 von lyrikzeitung
Jorge de Lima (1895-1953)
Demokratie
Hängematten wiegten meinen Gesang ein,
um mein Land zu versüßen, o Walt Whitman.
Jenipapo färbte meinen Körper gegen den bösen Blick,
Katechismus lehrte mich den Gast zu umarmen,
Kiefernnadeln nährten mich, als ich ein Kind war.
Negermutter erzählte mir Tiergeschichten,
Negerjunge brachte mir Schamlosigkeiten bei,
Panierfleisch, Tapioka, Puffreis, alles aß ich,
ich trank Zuckerrohrschnaps mit Cajúnüssen zur inneren Reinigung‚
bekam Wechselfieber, Frieseln und Lymphdrüsenschwellung,
Hakenwürmer, Sehnsucht, Gedichte;
ich wurde mondsüchtig, verhext und schwenkte die Negerrassel, ‚
redete Unsinn, spielte mit den halbschwarzen Mädchen,
sah Gespenster, Aberglauben, Wassermütter,
sprach mit den Verrückten, sprach mit mir allein,
schwängerte alles, was mir über den Weg lief,
umarmte die Schlange im Buschwald,
vermischte mich, versteckte mich, gab mir den Rest,
um eine gesegnete Seele zu retten
und meinen safranbemalten Leib, tätowiert mit Kreuzen, mit Herzen, mit verbundenen Händen,
mit Liebesnamen in allen Sprachen von Weißen, Mohren oder Heiden.
(1927)
Aus: Brasilianische Poesie des 20. Jahrhunderts. Hrsg./Ü Curt Meyer-Clason. München: DTV, 1975, S. 50
Kategorie: Brasilien, PortugiesischSchlagworte: Curt Meyer-Clason, Jorge de Lima, L&Poe-Anthologie
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