Vom Wenn

In ihrer Rede zur Verleihung des Weilheimer Literaturpreises 2015, dem zentralen Text ihres Prosabandes, vergleicht Nora Gomringer ihrer beider literarischen Modernitätsbegriffe und kommt zu einem überraschenden Ergebnis: «Jetzt, mit 35, ist mir vollkommen klar, wie reaktionär und konservativ mein Welt- und Gedankenkonstrukt ist im Vergleich zu dem meiner Eltern.» Und einige Sätze zuvor: «Vielleicht ist lediglich die Art, wie ich schreibe, rebellisch, wenn man es in Bezug setzt zu den klaren, konzentrierten Texten des Vaters. Ich bin viel barocker, ausholender im dichterischen Gestus. Ich bin dazu recht laut.»

Wer sich indes ihr Libretto «Drei fliegende Minuten» genauer anschaut, der findet dann doch ein Gedicht, das in seiner monochromen Textur aus der Schule der konkreten Poesie stammen könnte. Das «kleine Lied vom Wenn» präsentiert zeilenweise einen Konditionalsatz, der in eine Tautologie übergeht. Schöner hätte es auch Eugen Gomringer nicht formulieren können: «Wenn ich gross bin, bin ich gross / Wenn ich klug bin, bin ich klug / Wenn ich reich bin, bin ich reich / Wenn ich dich find, find ich dich / Wenn ich alt werd, werd ich alt / Wenn ich tot bin, bin ich tot». / Michael Braun, NZZ

Nora Gomringer: ach du je. Sprechtexte. Verlag Der gesunde Menschenversand, Edition spoken script, Luzern 2015. 160 S., Fr. 25.90. Nora Gomringer: Ich bin doch nicht hier, um Sie zu amüsieren. Texte & Reden. Verlag Voland & Quist, Dresden 2015. 176 S., Fr. 23.90. Nora Gomringer tritt gemeinsam mit Najem Wali und Peter Bichsel auf im literarischen NZZ-Podium «‹Die Welt retten› – Ein Abend über das Erzählen». Die Veranstaltung findet am Donnerstag, 26. November, um 18 Uhr 30 im Schauspielhaus Zürich statt.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..