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Der Digital- und Konzeptpoet Kenneth Goldsmith ist ein vielbeschäftigter Mann. Eine seiner Tätigkeiten ist die Lehre von Poetik und Poetischer Praxis an der zur Ivy League zählenden University of Pennsylvania. Dort wird Goldsmith im Frühjahr 2015 den Kurs „Wasting Time on the Internet“ anbieten, der sich konzepttreu in seine Lehre vom „Unkreativen Schreiben“ eingliedert. Die Studenten sollen sich pro Seminarsitzung drei Stunden lang durchs Internet treiben lassen und das tun, was gemeinhin als „Zeit verschwenden“ bezeichnet wird. Und daraus soll am Ende Literatur entstehen?
(…) In „Traffic“ – einer Hommage an ein Gedicht Walt Whitmans über den Ort, an dem die Brooklyn Bridge später noch entstehen sollte – hält Goldsmith sämtliche Verkehrsmeldungen eines ganzen Jahres über die New Yorker Brücke fest. „Traffic“ gehört zu Goldsmiths New-York-Trilogie, für die er auch ein Jahr lang Wettervorhersagen und das längste, neun Innings umfassende Baseballmatch der Major League (New York Yankees gegen die Boston Red Sox im August 2006) aus dem Radio transkribierte. „Worte zu recyclen ist politisch und ökologisch nachhaltig“, sagt Goldsmith, und „man kann beides sein, unauthentisch und aufrichtig.“
(…) Ein weiteres Argument Goldsmiths ist, dass es bereits so viel Text auf dieser Welt gebe, dass, rein pragmatisch gesehen, kein weiterer generiert und hinzugefügt werden müsse. Neue Romane seien bloß formale Abwandlungen und Variationen jener Themen, die Menschen schon immer beschäftigt haben. Das neue Produkt selbst sei dadurch nicht mehr im herkömmlichen Sinne interessant. „Und wenn das Produkt nicht mehr interessant ist, dann müssen wir den Entstehungsprozess beurteilen. Der Fokus muss sich vom Objekt auf die Idee richten. Dabei ist das nichts Neues; in der Konzeptkunst gab es das schon vor fünfzig Jahren. Die Literatur aber stellt sich diese Fragen zum ersten Mal. Meine Bücher sind schrecklich zu lesen. Jedes Mal, wenn ich sie korrekturlesen muss, schlafe ich ein. Die Konzepte dahinter sind aber sehr interessant. Sie regen zum Nachdenken und Gespräch darüber an, aber nicht dazu, sie wirklich zu lesen. Deswegen habe ich auch keine Leserschaft, sondern eine Denkerschaft.“ / FELIX-EMERIC TOTA, FAZ
1) Tippfehler im 3. Absatz, zweite Zeile: gebe ist nicht gäbe … wenn ich mich jetzt irre bitte den post löschen. wäre zu peinlich.
2) Klingt sehr interessant was dieser Kerl macht. Der fährt scheinbar auf der Schiene Quantität statt Qualität. Das schönste an der Kunst ist noch immer ihre Vielseitigkeit.
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