69. Zwischen Haiku und Artikel 3.3

In seinem Vortrag „Zwischen Haiku und Artikel 3.3 – zur Lyrik Alfred Anderschs“ untersuchte [Joachim] Jacob dabei am Beispiel des Gedichtes „Artikel 3(3)“ das politische Engagement des Schriftstellers in seinen lyrischen Arbeiten. Die Ausgangsüberlegung: Lyrik scheine in ihrer knappen Form zunächst für Engagement wenig geeignet, auch weil sie „der Wirklichkeit am stärksten entgegengesetzt ist.“ Wie ist das bei Andersch? Der untersuchte Text „Artikel 3 (3)“ sei am 3. Januar 1976 in der Frankfurter Rundschau erschienen und habe einen Skandal ausgelöst. „Als knapp 62-Jähriger fand Andersch zu seiner kämpferisch-radikalen Haltung zurück“, sagte Jacob. Er verwies darauf, dass das Gedicht als Reaktion auf die Praxis des so genannten „Radikalenerlasses“, der unter anderem die politische Überprüfung und gegebenenfalls die Abweisung von Anwärtern etwa mit kommunistischem Hintergrund für den öffentlichen Dienst vorsah, entstanden war.

Ausgehend von seiner Überlegung, ob Lyrik zur engagierten Literatur beitragen könne, untersuchte Jacob zunächst, ob es sich überhaupt um ein Gedicht handelt. Oder eher um „Übungen in schwach rhythmisierter Prosa“, wie der gebürtige Münchener selbst einmal behauptet habe. Der Gießener verwies jedoch darauf, dass der Schriftsteller peinlichst auf die formal korrekte Wiedergabe seines Textes beispielsweise hinsichtlich der Zeilenumbrüche geachtet habe. Auch wegen dieses Formbewusstseins stand für Jacob deshalb fest, dass „Andersch Lyriker ist, auch in seinen politisch engagierten Gedichte.“ (…)

„Es geht ihm in seiner Lyrik darum, konzise und kompakt zu zeigen, was ist.“ Die lyrische Aussage in dem Gedicht, dass das neue KZ schon errichtet sei, sei für uns heute unwahrscheinlich, nicht jedoch für Andersch. Der gegen die Ausschlusspraxis des „Radikalenerlass“ gerichtete provokative Vergleich ist aus dieser Perspektive im Sinne politischen Engagements nachvollziehbar. Auch sei „Artikel 3 (3)“ kein Einzelfall in seinem Werk, sondern Teil eines erinnerungspolitisch bedeutsamen Engagements, resümierte Jacob. / Kreis-Anzeiger

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