106. Vergessenes Gedicht

Felix Philipp Ingold liest ein vergessenes Gedicht, als wärs ein fremdes:

Beim vorliegenden Text (wie überhaupt in meinen Gedichten) sind als Dominanten die Assonanz und das Paradoxon auszumachen, beides ist für meine poetische Rhetorik gleichermassen bestimmend. Die Assonanz wird, ausgehend von einem beliebigen Leitwort, als Klangentfaltung bewerkstelligt, das Paradoxon gibt dem Widersinn eine gleichsam definitorische Bedeutung. Allein an diesen Charakteristika kann ich mein vergessenes Gedicht als meinen Text wiedererkennen. Für dessen aufwendige, stellenweise vielleicht etwas aufdringliche Instrumentierung werden auf engem Raum so gut wie alle dafür sich anbietenden Möglichkeiten genutzt – die einfache Lautähnlichkeit, die Paronomasie, der Gleichklang, der Stabreim. Assonantisch sind in diesem weiten Verständnis Klangverbindungen und Echoklänge wie ähnlich :: nämlichnährt :: nähertSchwester  :: Schwere ::  Begehren;  nährt :: wehrt ::währtLuft :: Lust :: (ent)lässt usf.

Mit den Klangähnlichkeiten kontrastieren die hier gehäuften paradoxalen Wortverbindungen und Metaphernbildungen, z. B. „fremd ist was sich berührt“; „Entferntes so ähnlich“; „kostet Gabe“; „keine Lust ihr Lachen nicht entlässt“; „Sieg und Schmerz“; „eine Nacht wie Wir hereinbricht von unten“ usf. Aus der Spannung zwischen harmonischer beziehungsweise harmonisierter Klanggestalt und entschiedenem Widersinn ergibt sich die poetische Eigenständigkeit und Unverwechselbarkeit des Gedichts, dessen Qualität sich darin allerdings nicht erschöpft. Die hier erwähnten technischen Daten und Verfahren seiner Herstellung machen aus ihm noch lange kein Meisterwerk. / Mehr bei Planet Lyrik

“Mittagswut”, Lesung mit Felix Philipp Ingold. Musik Heinz-Erich Gödecke im Greifswalder Koeppenhaus, 27.11.
“Mittagswut”, Lesung mit Felix Philipp Ingold. Musik Heinz-Erich Gödecke im Greifswalder Koeppenhaus, 27.11.

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