46. Sprachkünstler

Mit schönster Stetigkeit baut der 1963 im südtirolischen Lana geborene Dichter Oswald Egger sein literarisches Universum aus: als Sprachkünstler, der ein unverwechselbares Idiom entwickelt hat, als raffinierter Buchgestalter, der seine Texte mit Zeichnungen und Formeln verknüpft, so dass der Eindruck einer in mathematische und naturwissenschaftliche Gefilde ausschweifenden «holistischen» Poesie entsteht.

In seinem jüngsten Werk, «Euer Lenz», greift Egger Motive aus Leben und Werk des Sturm-und-Drang-Dichters Jakob Michael Reinhold Lenz (1751–1792) auf, um sie seinem eigenen imaginären Kosmos einzuverleiben. An Lenz fasziniert ihn – wovon auch ein neues Hörstück zeugt –, dass dieser in Livland, östlich von Riga, geboren wurde und von klein auf mit mehreren Sprachen konfrontiert war. (…)

Oswald Egger interessiert sich für den unsteten Reisenden, für den psychisch Zerrissenen und für den Erfinder der «Luftgeistersprache», der – vor dem Hintergrund des deutsch-baltisch-slawischen «Brodelbodens» – Wörter wie «Lullidalfahabarabbers Brobdingnag» erschuf. Es ist Lenz in seinen Briefen und nachgelassenen Schriften, den Egger zitiert, wenn vom «Wurmloch zu den Wolken» die Rede ist oder von «Linz und Lunz», den Teilfiguren des psychisch gespaltenen Lenz. Mit diesem Duo oder gar Trio, das mitunter komisch-groteske Züge annimmt, ist der Autor unterwegs «durchs Gebirg», durch wildromantische Landschaften, die den dramatischen Seelenzustand des Ich-Erzählers zu spiegeln scheinen. Alles ist Weg und zugleich Weggabelung, die Spalten und Risse in Fels und Eis verweisen weniger auf sich selbst als auf den gesplitteten Mann und seine «zerscherbelte» Sprache, die freilich – darin ist Egger ein Meister – neu gefügt und «zusammengekoppelt» wird zu ungewöhnlichsten «Wortaggregaten». Das liest sich dann beispielsweise so: «Unter all dem Spuk entdeckte Wolken. Diese ballten und verschnabeln sich mit Böen und Fallwindtaschen, die ineinander beuteln über die feuchten Senken, baumlos, und Unmulden, als Fogwrasen und Marsch, so ineinandergeschachteltere Trichter, Sud-trächtig, und blumenlos moosern wie die in Gletschertöpfe getunkten Zungen.» (…)

Diese Sprache repräsentiert ein Privatuniversum, und es ist keine Frage, dass «Euer Lenz» – darin verschiedentlich auf frühere Werke des Autors verwiesen wird – dieses Privatuniversum um einige neue Elemente bereichert. Vor allem «Linz und Lunz» geistern so komisch durchs Buch, dass einem mitunter zum Lachen zumute ist. Auch wird reichlich Sprachschabernack der abgründigen Art getrieben.

Man darf sich durch Oswald Egger nicht einschüchtern lassen: Hier spricht nicht nur ein Vielwisser (und vielfach ausgezeichneter Könner), sondern eine Naturbegabung mit dem Staunen und der Spielfreude eines Kinds. / Ilma Rakusa, NZZ

Oswald Egger: Euer Lenz. Suhrkamp, Berlin 2013. 238 S., Fr. 69.90.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..