65. Entwicklungslyrik

Initiative Zonic Zwanzig & Buchhandlung Drift präsentieren

Bert Papenfuß liest „Entwicklungslyrik“
Ausgewählte Texte von 1973 bis 2013
aus dem Band „Die Mauer“ (Bilder: Antonio Saura/Worte: Bert Papenfuß/ Hatje Cantz 2012)

Kulturny Dom B31
Bornaische Str.31, HH
Leipzig

DO 28.02.2013
20 Uhr

Der 1984-85 in Westberlin entstandene „Mauer“-Bildzyklus des spanischen Spät- & Post-Surrealisten Antonio Saura gehört zu den wenigen gelungenen Werken, die sich mit dem zwei politische Welten mehr als nur symbolträchtig teilenden Bauwerk auseinandersetzten. Im Verlag Hatje Cantz erschien nun als Teil einer Buchserie zur Berliner Mauer ein Band, dass diese Arbeiten mit Texten aus allen Schaffensphasen des (Ost-) Berliner Anarcho-Poeten, Kultur-Spelunkenbetreibers und Zonic-Ko-Redakteurs Bert Papenfuß zusammenfügt. Von früher radikal experimenteller Sprachakrobatik über kryptische Lyrics für DDR Post Punk-Bands bis hin zum freien Spiel mit gebräuchlicheren Textformen und prosaischen Pamphleten, zuletzt gern mit Zitaten von Barock bis Science-Fiction und entsprechenden Fußnoten-Exzessen.
Ob Früh-, Mittel- oder beginnendes Spätwerk, alles ist durchzogen von einem Geist des Dagegen und erfüllt vom machbaren Traum der Anarchie, angemischt mit Humor und Unerbittlichkeit, übervoll mit erfahrenem Leben von Rotz bis Rock´n´Roll. Ein Text-Trip, von den Mauer-Bildern des Antonio Saura gerahmt und mit diversen Vertonungen verfeinert, der nicht zuletzt als bestmöglicher Anfang der seriell angelegten Jubiläums-Präsentationen gelten darf: im zwanzigsten Zonic-Jahr!

ENTROPIE

ist einfach, umgänglich und unumgänglich:
Mich bewegt das Irrationale im Realen –
und Irrealen sowohl als auch umgekehrt;
d.h. ANARCHIE beginnt in Dir selbst,
oder ich irre unsäglich VORWÄRTS.

B.P. 2004

Mehr B.P.-Klappen-O-Ton zum Buch:

Entwicklungslyrikband, der: Im Gegensatz zu Best-of-Alben – die strukturlos, z.B. chronologisch, alphabetisch usw., die Greatest Hits eines Lyrikers versammeln – das ausgeklügelte Konglomerat einer (oft notgedrungenen bzw. -ersehnten) sog. Lebenslüge (siehe Autobiographie, S. 59), das eine vorgebliche „Entwicklung“ eines Dichters darstellt. Lyriker neigen dazu, jeweilige kreative Phasen ihres Schaffens (unter Auslassung aller Aus-Zeiten, s. S. 56) als bahnbrechend evolutionär auszugeben. Geborene Arschlöcher (oft prädestinierte Entwicklungslyriker, s S. 232 – Beispiele gibt´s noch und nöcher) hingegen gestehen hin und wieder, nicht auf der Höhe der Zeit zu sein, räumen Entgleisungen ein, beißen sich ins Bein, wollen dabei sein und scheren aus, über die Stränge von Erwartungen zu schlagen, die kaum die Richtigen (s. S. 667) treffen; manchmal jedoch ihr Publikum finden. Das Entwicklungsprinzip verlangt, vom Ursprung auszugehen und nach Irrungen, Scheinlösungen und Alternativen ouroboroid zu ihm zurückzukehren. Als mißlungene Versuche gelten alle bisherigen. Als halbwegs gelungenes Beispiel gilt Die Mauer von Bert Papenfuß (ex-Gorek, ex-Papenfuß-Gorek; s S. 506), ein Konvolut, das konkordial durch die Bildkunst von Antonio Sauras Mauerzyklus (s S. 402) getragen wird. – „Hauptsach´, es rockt der Band und steht wie eine Wand“, wirft beschwichtigend der Volksmund ein.
Eintrag aus: Diktatorenkollektiv (Hg.). Lohn und Saktion. Wie wir sprachen – was wir wurden. Lexikon und Idiotikon der Prenzlauer Berg-Untertagesprache. Gesamtverlag Staatssekretariat für ostdeutsche Antworten, Berlin, 2013, S. 233

Mauerzyklus, der: Mehr oder weniger beholfene Serie von Reaktionen auf physisches und psychisches Eingesperrt- bzw. Unwohlsein, künstlerisch oder (direkt) persönlich (also handgreiflich – „er/sie/es hat seinen Mauerzyklus“) ausgedrückt. Nach 1933 in Deutschland literarisch ungelungen. In der bildenden Kunst stellt Cornelia Schleimes sog. „Stasi-Serie“ Bis auf weitere gute Zusammenarbeit Nr. 7284/85 von 1993 eine bemerkenswerte Ausnahme dar. Der große Wurf gelang jedoch dem spanischen Maler Antonio Saura (1930 – 1998) mit einem 1985 in Westberlin entstandenen Zyklus von Zeichnungen und Fotoübermalungen unter dem Titel Die Mauer.

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