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Veröffentlicht am 19. Januar 2013 von lyrikzeitung
Von historischen Umständen und politischer Verfolgung ist in diesem Kindheitsgedicht jedoch nicht die Rede. Die extreme Reduktion, die spröde Kargheit dieser Verse schafft trotzdem eine undefinierte Atmosphäre der Bedrückung.
Der Gipfel der Ernüchterung ist in der siebten Zeile erreicht: „vermutlich von einer Rechnung“. Es könnte ein Hinweis auf ärmliche Lebensverhältnisse sein. „Rechnung“ gehört jedenfalls nicht ins Wörterbuch der Poesie, und Dichter vermeiden in der Regel auch Aussagerelativierungen wie „vermutlich“. „Über allen Gipfeln ist eventuell Ruh“ – das wäre ein Bruch der Stimmung. Deutlich wird, dass die Perspektive bei aller lyrischen Gegenwärtigkeit nicht vom Kinderblick bestimmt ist, sondern von der Erinnerung, die sich einen Reim auf das Stückchen Papier zu machen sucht.
/ Caroline Peters über das Gedicht „Am Styx“, FAZ 19.1., aus:
Günter Kunert: „Mein Golem“. Gedichte. Hanser Verlag, München 1996, 96 S., kart., 13,90 €.
Kategorie: Deutsch, DeutschlandSchlagworte: Caroline Peters, Günter Kunert
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shakespeare im 2. sonett läßt „sum my count“, die rechnung bitte:
How much more praise deserved thy beauty’s use,
If thou couldst answer ‚This fair child of mine
Shall sum my count and make my old excuse,‘
Proving his beauty by succession thine!
Und Rilke 5. Elegie:
Und plötzlich in diesem mühsamen Nirgends, plötzlich
die unsägliche Stelle, wo sich das reine Zuwenig
unbegreiflich verwandelt —, umspringt
in jenes leere Zuviel.
Wo die vielstellige Rechnung
zahlenlos aufgeht.
Letztens stammt der Satz vom „Bruch der Stimmung“ (ebenso wie Benns „Bruch der Vision“ durch Wie-Vergleich) aus einer normativen und ein dürres und – wie sich zeigt – nicht auf großer belesenheit basierendes ideal konservierenwollenden ästhetik
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Mochte ich auch für Rechnung nicht glauben, hab nachgeschlagen, hat mich fast erschlagen. Ist sogar ein ausgesprochner Gemeinplatz, etwa so verwendet wie Brentano schreibt: „Mit Gott und Welt sei stets gestellt / Die Rechnung dein hübsch klar und rein.“ Wenn der Zettel nicht immer so ganz deutlich dabei sichtbar ist, dann sicher, weil man die meisten Geschäfte seinerzeit mündlich abmachte. Ich häng als Belege an: Arnim „Und will er nicht, so soll entscheiden/ Der deutsche Bund vor Allem dies: / Ob nicht die Rechnung ganz bescheiden, / Und daß ich nicht zu viel verhieß; / Verjährung nimmt nicht Menschenrechte, “
Auch im doch bekannten Choral kommt es in der 9. Strophe vor.
Blinde Unvernunft, schweig stille!
Er, der Glaub, im Herzen red!
Laß es gehen, wie es geht;
Gottes Wille sey dein Wille.
Fordre Gott nit Rechnung an:
Was Gott tuht, ist recht getahn.
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so ungewöhnlich sind mutmaßungen und die entsprechenden adverbialen terme im »wörterbuch der poesie« [diktionär?] dann auch wieder nicht. siehe zum beispiel mallarmés berühmtes ›sonnett auf -yx‹: »… un or / Agonise selon peut-être le décor / Des licornes …«, morgensterns »Nein!«: »… nach dem nächsten Brunnen lechzte / (der vielleicht noch ferne wäre)« oder montales »Forse un mattino andando in un’aria di vetro …«
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