37. Winterreise

Im Winter 2007 unternahm der Ludwigsburger Kulturwissenschafter Thomas Knubben eine Wanderung von Nürtingen nach Bordeaux: auf den Spuren Hölderlins, der seinerseits im Dezember 1801 aufgebrochen war und während acht Wochen westwärts wanderte, um eine Hofmeisterstelle in der Stadt am Atlantik anzutreten. Wie die Jakobspilger erhoffte sich Thomas Knubben von seiner «Winterreise» eine Erleuchtung, ist doch Hölderlins Reise vom Geheimnis umwittert. Denn nach kurzer Zeit hat der Dichter Bordeaux wieder verlassen und ist im Juni 1802 völlig zerrüttet in der Heimat eingetroffen. Was hatte ihn derart aus der Bahn geworfen, dass sein Anblick die Freunde erschreckte? …

Als Glanzlichter stellen sich die kulturgeschichtlichen Essays innerhalb des Textes heraus. Was Thomas Knubben über den politisch bedingten Wandel der Hölderlin-Rezeption anführt, etwa die Vereinnahmung seines Werks durch die Nazi-Ideologie und die neue Sicht, wie sie der französische Germanist Pierre Bertaux entworfen hat, liest sich spannend. Und ebenso fesselt er mit seinen Ausführungen zu Bordeaux‘ reicher Kaufmannschaft, zu der auch Hölderlins Arbeitgeber, der Weinhändler und hamburgische Konsul Daniel Christoph Meyer, gehörte. Prägnant stellt er die Rolle der Stadt im Sklaven- und Kolonialhandel während des ausgehenden Ancien Régime heraus und skizziert die konfessionelle Situation. Bordeaux‘ merkantile Erfolge scheinen auf dem Zusammenspiel zwischen deutschen protestantischen Kaufleuten und französischen Hugenotten, die in dieser Stadt eine Zuflucht fanden, zu gründen; sie ergäben ein Paradebeispiel für Max Webers Thesen. / Beatrice Eichmann-Leutenegger, NZZ 8.12.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..