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Am Montag starb Peter Paul Zahl im Alter von 66 Jahren im Krankenhaus von Port Antonio auf der Insel Jamaika. Jörg Sundermeier schreibt in der taz:
Als dem 1944 in Mecklenburg geborenen Peter-Paul Zahl im Jahr 1980 der Literaturförderpreis der Freien Hansestadt Bremen verliehen wurde, saß dieser junge Autor schon seit rund acht Jahren im Knast. Als mutmaßlicher Terrorist. Er hatte sich im Jahr 1972 seiner Verhaftung widersetzt, dabei von der Schusswaffe Gebrauch gemacht und einen Polizisten schwer verletzt.
Die Haftjahre nutzte Zahl, der bereits 1968 mit einem Buch in Erscheinung getreten war, zum Schreiben nicht nur politischer Texte. 1979 erschien dann schließlich sein berühmtester Roman „Die Glücklichen“, in der Zahl eine Alternativkultur beschrieb, die viele, die von den Utopien der Jahre 68 ff. geprägt waren, sehr gut kannten. „Die Glücklichen“ wurde zum Kultbuch.
Der im Dezember letzten Jahres verstorbene Peter O. Chotjewitz, der nicht nur Schriftstellerkollege, sondern auch Zahls Anwalt war, erinnerte sich vor einigen Jahren, dass er Zahl – obschon dieser immerhin wegen versuchten Mordes in zwei Fällen zu 15 Jahren Haft verurteilt worden war und als politischer Häftling galt – einfach so mit dem Privatwagen aus der Haftanstalt abholen durfte. Chotjewitz, der selbst als Unterstützer der RAF angeklagt gewesen war, musste lediglich garantieren, den Häftling später auch brav wieder abzuliefern. Der Strafvollzug für Staatsfeinde war nach dem Deutschen Herbst des Jahres 1977 nicht immer ohne Witz.
Das steht bei FAZ.net:
Am 22. Mai 1976 veröffentlichte diese Zeitung in der „Frankfurter Anthologie“ das Gedicht eines Mannes, der damals im Gefängnis saß – von Peter Paul Zahl. Es hieß „mittel der obrigkeit“ – die Kleinschreibung und der Verzicht auf Interpunktion waren Stilmittel – und handelte von schlagenden Polizisten. Zahl sah die reine Brutalität: „man muss sie gesehen haben / diese gesichter unter dem tschako / während der schläge“. Sie schlagen weiter, und im gleichen Rhythmus ergeht die Aufforderung zum Blick in ihre Gesichter.
In L&Poe
und wieder einer weniger. das sterben geht weiter… ich hörte ihn nur 1x live, nämlich vor kurzem, siehe handy-video-mitschnitt:
ein gedichtband von ihm war ende der 80er einer der allerersten, den ich besaß und dachte damals: cool, daß sowas lyrik sein darf 😉
gruß aus der klinik, tom
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Er war sozusagen mein Nachbar. Uns trennte nur ein wenig Wasser. Aber der gleiche karibische Himmel, die gleichen Wirbelstürme, die gleichen Fischgerichte.
Unvergessen: Der Tag vor etwa 25 Jahren, an dem er mir empört die Briefe Horst Mahlers zeigte. PP wollte von Werl in den Normalvollzug verlegt werde und Mahler saß im Normalvollzug. Also fragte PP wie er es geschafft habe, er wolle es auch anstreben.
Mahlers Antwort: „Ein echter Indianer kennt keinen Schmerz“, was heißt: du hast dir die Situation ausgesucht, nun durchstehe sie wie ein Revolutionär und weine nicht.
Dann kam sein Traum von Grenada. Das wurde ja dann nichts.
Aber da schon legte er den Widerspruch in sich ans Tageslicht: „Ein echter Revolutionär bleibt Zuhause und verändert“.
Zahl war nie ein Revolutionär. Man versuchte ihn dazu zu stilisieren. Aber im Leben war er Bodenständig. Ebenso war er niemals Anarcho. Man tut ihm Unrecht, wenn man das behauptet. PP hat sich immer für geordnete Verhältnisse engagiert, allerdings nicht für betonierte Ordnung. Auch ein „Altanarcho“ hätte nie die Rolle eines „Friedensrichters“ in Jamaika angenommen.
Den Wunsch, abzuhauen, hatte er bereits im Knast, lange bevor er Freigänger wurde. Er war angesteckt von der Rimbaud-Exotik und der ungezügelten Lust nach Leben wie einst sein Vorbild Villon. Auch wenn er nie dessen Popularität erreicht hatte und erreichen konnte. Zahl verglich sich gerne mit den literarischen Giganten. Das machte ihn manchmal etwas – nun ja, banal.
Er hat sich auch nie als Auswanderer gesehen, sondern, großspurig wie es seine Art war, als „Exilant“, so als habe ihn die Politik der damaligen BRD vertrieben.
Im Nachhinein hatte PP für alles politische Rechtfertigungen gefunden. Das musste er auch. Denn die linke Szene untersagte ihm sozusagen ein Privatleben. Was von Zahl kam musste, auf Teufel kommt raus (Entschuldige Fritz!) politisch motiviert sein. Privatleben hatte einer wie er nicht zu haben! Wie sich überhaupt die ganze „linke“ damit schwer tat.
Anderseits wurde Zahl vom Staatsschutz bespitzelt bis zum geht-nicht-mehr. Auch in der Knastzeit noch. Da gibt man nicht viel von seinem Innenleben preis. Also hielt er sich bedeckt, unser Autor von den quälenden Buchstaben. Was er schrieb war mitunter fast genial („Das sollten die Völker unters sich ausmachen“) und oft von langweiliger Trockenheit. Durch „Die Glücklichen“ quälte man sich aus Solidarität durch, aber weniger aus Begeisterung.
Den Bremer Preis bekam er auch nicht der Literatur wegen, sondern, wie mir einer der Juroren später mitteilte, aus politischen Gründen.
Seis drum, er war ein toller Zeitgenosse.
Machst gut im Himmel PP, auch wenn,s dort langweilig sein wird. Alles zu brav. Aber wer weiss, vielleicht kommen ja eines Tages deine vielen Frauen zu dir, die dich mit Kindern beschenkt haben. Ich komme dann dazu. Dann hören wir gemeinsam den Reggae. Und schwärmen von unserer Jugend. Und der Rosi. Sie wird weinen. Freiheit & Glück
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Peter Paul Zahl hat auch Lyrik veröffentlicht, so 1975 den Gedichtband „Schutzimpfung“. Im „Großen Conrady“ findet man ihn auf Seite 1016.
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