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Veröffentlicht am 2. April 2010 von lyrikzeitung
Doch selbst Paul Celan wurde Sachs‘ Leidens-Gestus irgendwann unheimlich. Ende der fünfziger Jahre hatte er brieflich Kontakt zu ihr aufgenommen, bei ihrem Besuch in der Schweiz 1960 holte er sie dann gemeinsam mit Ingeborg Bachmann vom Flughafen ab, lud sie schließlich nach Paris ein und besuchte seine „Schwester“ später in Stockholm. Hier musste er dann allerdings feststellen, dass die ihm angetragene geschwisterliche Anrede aus einem Mund kam, „dem es nichts galt“.
Sachs war umgeben von „Schwestern“ und nicht besonders erpicht auf Celans Besuche. Celan selbst kam dieser Umstand gleichwohl ganz gelegen. Er hatte in Stockholm eine Affäre mit einer bildhübschen Regisseurin begonnen und die vermeintliche Dichterfreundschaft ließ sich gegenüber seiner Frau ganz hervorragend als Alibi benutzen.
Celan also sprach von Sachs‘ „Hybris des Schmerzes“. „In Stockholm hörte ich sie sagen“, schreibt er, „,Die in Auschwitz litten nicht das, was ich leide'“. Celan empfand das – und damit drückt er es wohl noch recht milde aus – als „Vermessenheit“. Zu Sachs‘ Entschuldigung mag man vorbringen, dass sie zu diesem Zeitpunkt schwer psychisch krank war. Sie litt sogar unter Verfolgungswahn: Eine „Nazi-Spiritisten-Liga“ meinte sie, würde ihre Wohnung mit Mikrofonen belauschen und überhaupt an ihr Rache nehmen für die Entführung Adolf Eichmanns nach Israel. / TOBIAS LEHMKUHL, SZ 25.3.
Kategorie: Deutsch, Deutschland, SchwedenSchlagworte: Ingeborg Bachmann, Nelly Sachs, Paul Celan, Tobias Lehmkuhl
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