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Die Erfahrung von textueller Authentizität ist für den Nietzsche-Leser schon deswegen von Wert, weil die Geschichte des Nietzsche-Nachlasses mit den geradezu gespenstischen Fälschungen der Schwester begann. Dies war für die Wirkungsgeschichte ein verhängnisvoller und ideologisch schwer lastender Skandal, der bis zur Werkausgabe von Colli/Montinari niemals wirklich behoben wurde. Wie vielleicht nur bei Hölderlin ist die Frage der Text-Authentizität einer der sensibelsten Punkte der Nietzsche-Philologie. Darum ist es für jeden Nietzsche-Leser nicht nur ein Genuss, sondern eine entschieden vertrauensbildende Erfahrung, dem Original der Texte so nah zu rücken wie hier – und sich dabei von der Sorgfalt heutiger Editoren überzeugen zu können.
Gewiss erheben sich hier Fragen, die weit über diesen Prachtband für Nietzsche-Freunde hinausgehen. Der kategorische Imperativ heutiger Editions-Philologie – zurück zu den Handschriften, und damit vorwärts zu Darstellungsverfahren, die keinen Aufwand in der Rekonstruktion der Textgenese als zu groß erachten -, führt immer wieder zu einer überkomplexen typographischen Darstellungsform, die nur noch durch eine exzessive Überkommentierung in den Schatten gestellt wird. Diese Tendenz haben die Herausgeber in unserem Fall glücklich vermieden und danach gestrebt, den philologischen Apparat und die Kommentierung auf das Wesentliche zu beschränken. …
In den vielen Bild-Miniaturen, die er gibt, erfahren wir etwas vom „Unwiderlegbaren“ der Person selber. Und, angesichts jenes ungeheuerlichen „Wahnsinnszettels“ von 1889: Wir erkennen auch das Widerlegbare der Person, wenn ihre großen Antriebe, die Musik und die Schrift, hier in ein dissoziiertes graphisches Gebilde auseinanderbrechen, das im Rätsel seiner selbst an Bilder von Cy Twombly erinnern mag. / HARTMUT BÖHME, SZ 25.3.
FRIEDRICH NIETZSCHE : Handschriften, Erstausgaben und Widmungsexemplare. Die Sammlung Rosenthal-Levy im Nietzsche-Haus in Sils Maria. Herausgegeben von Julia Rosenthal, Peter André Bloch und David Marc Hoffmann. Schwabe Verlag, Basel 2009. 274 Seiten, 89,60 Euro.
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