141. Ein verbummelter Student wird entdeckt

Na bitte, geht doch. Wir können uns halt nicht immer um alles kümmern im alltäglichen Ansturm des Angesagten. Also brauchen wir äußere Rahmen. Etwas Außergewöhnliches, ein Jubiläum, ein Unglück, eine Zeremonie.

Jetzt ist Schermbeck dran.

schreibt die lokale Zeitung und fährt fort:

Die Kulturhauptstadt Ruhr 2010 strahlt seit Sonntag sichtbar bis mitten in den Ort aus: Gustav Sack, Schriftsteller und Eigentümler, wird mit der Einweihung einer Stele, mit Rezitation und Ausstellung zum örtlichen Helden.

Eigentümler ist eine gute Wortfindung. Ein einziges schmales „l“ macht aus einem Leistungsträger einen Leistungsverweigerer, also doch jemand, um den sich nicht jeder, z.B., FDP-Wähler jeden Tag kümmern kann. Ist der äußere Anlaß groß genug, kann aus einem solchen Verweigerer plötzlich ein local hero werden.

„Schermbecks Bürgerschreck-Schriftsteller Gustav Sack (1885-1916)“ wird nun fast 100 Jahre nach seinem Tod (er war einer von denen, die der erste Weltkrieg stark verkürzt hat, „gefallen“ und nicht wieder aufgestanden bei Bukarest) in seiner Heimar entdeckt und vielleicht gar von einigen gelesen? Jedenfalls eine Zeremonie, bei der in Anwesenheit von Honoratioren und anderen Wählern über den lang Verblichenen nur Gutes gesagt wird.

Ruhr-2010-Geschäftsführer Fritz Pleitgen war am Sonntag in Schermbeck zu Gast und enthüllte gemeinsam mit Hans Zelle vom Heimatverein die etwa einen Meter hohe Basalt-Stele mit der bronzenen Erinnerungstafel.

Einen besseren Einfall hat der lokale Berichterstatter:

Wenn man nun anerkennungsvoll die Mittelstraße in „Sack-Gasse” umbenennen würde – es wäre ein Unfug, wie er dem skurrilen Schriftsteller hätte gefallen können. Nun, die „Mi” bleibt die „Mi”, allerdings erinnert seit Sonntag dort eine Stele an Sack.

Die Stele gabs schon länger:

„23 Jahre lang lag die Bronzetafel jetzt im Rathaus“, erzählt Hans Zelle.

Nur fehlte der Anlaß und vor allem das Haus, an das sie paßte. Nun also gings, und schon in 6 Jahren kommt der nächste Anlaß. Oder im Oktober:

Gustav Sack würde am 28. Oktober 2010 125 Jahre alt.

Sack aber (der übrigens auch in Greifswald studierte, dort war er Mitglied in der Turnerschaft Cimbria, wurde aber entlassen) weiß über all das Bescheid. Sein Roman „Ein verbummelter Student“ beginnt so:

In einem flachen Kessel am Niederrhein liegt zwischen waldigen und heidigen Höhen ein Dorf, dessen Signum ein kurzer klobiger Backsteinturm ist und dessen Hauptstraße kurz und gut die Mittelstraße heißt, und die wird zu beiden Seiten begleitet von der Kaffeestraße und Kirchstraße und ist mit ihnen verbunden durch mehrere Sträßlein, deren offizielle Namen man nur in dem heimatkundlichen Unterricht der Schule hört; später vergisst man sie und bezeichnet die Sträßlein nach irgend einem irgendwie hervorstechenden Anwohner.

Die Bewohner aber neigen ein wenig zum Kretinismus und haben insbesondere vor ihren Nachbarn einen eigentümlichen hämischen und bissigen Witz voraus – sonst leben sie wie diese in den Tag und wissen nichts von der transzendenten Idealität der Zeit, der Verneinung des Willens, dem Pathos der Distanz und wären so glücklich wie ihr Vieh, wenn sie eben nicht den hämischen Witz hätten und so eingefleischte Ebenbilder ihres Gottes wären.

Bei zeno.org kann man den Roman lesen, und ein paar andere Texte. Gedichte hat er auch geschrieben.

Werke:

  • Ein verbummelter Student, Roman S. Fischer 1917
  • Ein Namenloser, Roman, S. Fischer 1919
  • Paralyse Fragment, Fink 1971
  • Die drei Reiter, Gedichte 1913-1914, Ellermann 1958
  • Prosa. Briefe. Verse, Langen-Müller-Verlag 1963
  • Gustav-Sack-Lesebuch. Zusammengestellt und mit einem Nachwort versehen von Walter Gödden. (= Nylands Kleine Westfälische Bibliothek; 2). Köln 2002

Sack-Ausstellung „Ich bin ein (Lebens-)Künstler” im Heimatmuseum.

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