127. Elias, das Opfer auf dem Karmel

Aus Hans Zimmermanns 9. Rundbrief 2009
4. Advent 2009

Liebe Freunde,

nun geht das Mendelssohn-Bartoldy-Jahr zuende, und so wurde es Zeit, mit Blick auf das großartige Oratorium dieses Komponisten die Eliaskapitel aus dem 1.Könige-Buch zu vervollständigen: Es fehlte ja noch das große zentrale Kapitel über das Opfer auf dem Karmel zwischen der märchenhaften Erzählung vom Aufenthalt des Elias bei der Witwe und ihrem Sohn und der meditativ-stillen Gottesberührung, die gerade die Feuer des dramatischen Brandopfers auf dem Karmel und die darauf folgenden Regenfluten transzendiert. Ohne dieses Durchschreiten der elementarischen (wie in Mozarts Zauberflöte) und seelischen (wie in Wagners Siegfried) Schwellen bliebe das Wirken des Elias eine Restauration des Gottes Israels, ein Kampf um die geistige Führung der zwölf Stämme, und immerhin eine Beseitigung der Verehrung des „Herrn“ (das ist die Bedeutung des Titels „Baal“) durch Er-Klärung Gottes als des Daseinsgrundes aller Ichbinheit bzw. der Ich-Bin-Gründung allen Daseins (JHWH). Es ist paradox, ja absurd, daß ausgerechnet der „Herr“-Titel später den Gottesnamen verdeckt, ersetzt und umgepolt hat, so daß das Urteil des Volkes bei Mendelssohn dann lautet: „Der Herr ist Gott“. Wie, also doch der Baal, der „Herr“, statt JHWHs, des Ichbin-Grundes allen Daseins? Man möchte den Kopf zwischen die Knie legen und weinen.

Aber, wer hier schon weint, was will der tun, wenn er liest, wie Elias die „Herren“-Priester abschlachten läßt, und wenn er im Oratorium den mitfühlsamen Psalmvers hört, „ob tausend fallen zu deiner Seite und zehentausend zu deiner Rechten, so wird es doch dich nicht treffen“? Meine Güte, das ist derartig alt, derartig archaisch, derartig abartig — nein, bei aller Brutalität dieser selbstherrlichen Chöre: ich glaube dem romantischen Klassizisten von 1846 nicht, daß er auch nur einen Funken der Feuergewalt verstehen konnten, die hier zum Ausdruck gekommen ist, und seine protestantisch-biederen Hörer schon gar nicht: Eingezwängt in die Kirchenbänke oder sittsam auf Konzertstühlen sitzend, folgsame Ohren für Gehorsamsprediger oder pinguinberockte Kapellmeister, zugleich auch zivilisationsstolze Kolonialherren über die Wilden in Übersee, denen man den Glauben an den „Herrn“ aufzäumt, an den „Herrn“ — war das die Geistkraft des Elias, des Elischa, des Nazoraios Johannes?

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