65. Verschmelzung von Prosa und Poesie

Wir kennen aus der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts Werke, in die Gedichte eingefügt sind, den Wilhelm Meister, oder Werke, die überhaupt nur geschrieben zu sein scheinen, um Gedichte in sie einbetten zu können, wie den Heinrich von Ofterdingen oder den Maler Nolten.

Aber die „Mätresse“ geht noch einen großen Schritt weiter in der Verschmelzung von Prosa und Poesie: ihre Absicht geht dahin, aus Sprachschutt und Jargon und gehaltloser Schwätzerei, aus dem Unrat sprachlicher Lebenszerbröselung den lebensspendenden Humus der befreitesten und leuchtendsten Poesie zu erschaffen, aus den Rhythmen des Tratsches und der Gewöhnlichkeit unablässig in den warmen Glanz der romantischen Dichtung hinüberzugleiten – und zwar bruchlos und organisch – und wer das hört, der müsste das für Schwärmerei halten und glauben, ein solches Vorhaben könne nie und nimmer gelingen, aber es gelingt so mühelos, dass der Wechsel kaum spürbar ist – wie in der schönsten Sfumatura eines großen Malers weiß man nicht, wo die Prosa aufhört und die Poesie beginnt. Also: keine mehr als wohlfeile Denunziation der Trivialsprache – selbst da wo ihr Schwachsinn und ihre Peinlichkeit am schmerzhaftesten sind, sondern ihre Wiedererweckung und ihre Tauglichmachung zum Hervorbringen von Schönheiten – das ist das Programm und das ist es, was verblüffend genug dann auch in der „Mätresse“ verwirklicht worden ist. / Martin Mosebach, Laudatio auf Eckhard Henscheid anlässlich der Verleihung des Jean-Paul-Preises 2009, Süddeutsche Zeitung

One Comment on “65. Verschmelzung von Prosa und Poesie

  1. Einen interessanten Kommentar – nicht zu Poesie-Prosa, sondern zu Mosebach-Henscheid – finde ich in der ASML (Arno-Schmidt-Mailingliste):
    Giesbert Damaschke schrieb:

    Henscheid nimmt einen Literaturpreis entgegen und lässt sich von
    Mosebach besingen. Sowas.

    Jürgen Fenn:
    Die beiden passen doch gut zusammen. Der eine tauchte schon mehrfach in
    der Jungen Freiheit auf, und der andere war mir zuletzt bei den
    Römerberggesprächen begegnet. Peinlich wars.

    Vgl. auch L&Poe Sep 135. Gegenaufklärung https://lyrikzeitung.wordpress.com/2009/09/25/135-gegenaufklarung/

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