48. Trampelpfad

Es ist … nicht übertrieben zu behaupten, daß die beiden kundigen Herausgeber der Anthologie „Der gelbe Akrobat“, Michael Braun und Michael Buselmeier, sich seit 1991 daranmachen zu überprüfen, wie ernst es dieser oder jener Dichter denn damit genommen habe, sich mit seinem Schreiben „in Gefahr“ zu begeben. Ihre zuerst in der Wochenzeitung „freitag“ erschienenen  Kolumnen zur Lyrik sind nun in einer vorzüglichen Edition des Leipziger Verlages Poetenladen auch gesammelt als Buch erhältlich.

Dieses Buch schlägt, ähnlich wie unlängst die Anthologie „Laute Verse“, auch für ungeübte Gedichteleser einen bisweilen nicht unkritischen Trampelpfad ins lyrische Gelände. Enzensberger wird für seinen „zynischen Spott“ gerügt, den er in einem Gedicht über den gealterten Revolutionsführer Fidel Castro ausschüttet, „satirische Denunziation“ nennt der Verfasser das poetische Pinzip, mit dem Enzensberger versuche, Castros „Alte Revolution“ bloßzustellen. Und der Münchner Autor Albert Ostermaier, der mit Vorliebe „forciert modische Vokabeln“ verwendet, wird kurzerhand des „demonstrativen Vitalismus“ geziehen.

Doch gesellen sich neben diese abgeklärten bzw.lauttönenden Poeten in dem Buch doch auch sehr viele wenig Bekannte oder am literarischen Rand stehende Autoren, deren Namen man so gut wie nie im Feuilleton liest: der, heute in Finnland lebende und an Paul Celan anknüpfende Manfred Peter Hein; der eigensinnige und wortgewaltige Dresdner Wolfgang Dietrich; der viel zu wenig bekannte, viel zu früh aus dem Leben geschiedene Andreas Holzschuh*; der nahezu unbekannt gebliebene Pfälzer Wortartist Werner Laubscher.

„Der gelbe Akrobat“ ist im übrigen ein Buch, in dem sich auf wundersame Weise Poesie und Zeitgeschichte begegnen, eines, das gewissermaßen durch die poetische Hintertür, ein Stück Geschichte der DDR wie der alten Bundesrepublik (mit)erzählt. / Volker Sielaff, Dresdner Neueste Nachrichten 9.10.

Michael Braun / Michael Buselmeier (Hg.): Der gelbe Akrobat, Verlag Poetenladen, Leipzig 2009. 360 S., 19,95 Euro.

*) Holschuh (s. Kommentare)

6 Comments on “48. Trampelpfad

  1. Pingback: 168. Organisch vs. arbiträr. Anmerkungen zu einer Anthologie und einer mittleren Leseweise « Lyrikzeitung & Poetry News

  2. Abgesehen davon, daß ein Suizid wohl selten „freiwillig“ geschieht: Ich möchte wetten, daß jeder im Gegensatz zu Becher noch lebende Bestattungsunternehmer von der Formulierung „er ist aus dem Leben geschieden“ abraten würde (ob er vom Sterben abraten würde, sei einmal dahingestellt.)
    „Verstorben zu sein“ wäre bestimmt das kleinere Übel: weil es nicht nach der Euphemisierung und Tabu-Umgehung einer entschiedenen Notlösung riecht.

    Like

  3. „der viel zu früh aus dem Leben geschiedene Andreas Holzschuh“?
    Das ist eine sehr kluge Formulierung. Man kann sich nicht spät genug umbringen.

    Like

    • wieso „umbringen“? Johannes R. Becher schrieb über den Tod seines „Gegenspielers“ Benn: „er ist geschieden wie er lebte: streng“. Geschieden ist doch nicht immer „freiwillig“? – Weiß jemand was über Holschuhs Leben? (nicht „Holzschuh“, wie versehentlich in dem Artikel stand!)

      Like

Hinterlasse eine Antwort zu lyrikzeitung Antwort abbrechen

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..