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Im Foyer des Deutschen Theaters trat wenig später Allen Ginsberg auf, dieser lebenspralle jüdische Amerikaner und schwule Sängerdichter. Er schlug temperamentvoll auf einem Holzklotz herum und rezitierte seine lüsternen Gedichte als rhythmisches Feuerwerk. Im ost-westlich gemischten Publikum saß ein Mann mit zerwuseltem Haarschopf und Nickelbrille. „Jeder Satellit hat einen Killersatelliten“ hieß ein Gedichtband von ihm, verlegt im Westen der Stadt. Allen Ginsberg fand Gefallen an dem schweigsamen Ostdeutschen. Unbefangen strich er ihm übers Haar. Die zärtliche Geste ist den eifersüchtigen Augen anderer Dichter im Saal nicht entgangen. Sascha Andersons Enttarnung als Spitzel stand noch bevor. …
Anfang der Neunziger nach Paris eingeladen, stellte die Dichterin Elke Erb einer kleinen Runde in der Rue d´Ulm (wo einstens Paul Celan gelehrt hatte) ihre herrlich verspielten Gedichte vor. Sie sprach, wie es das Arbeitsgebiet des Instituts vorgab, über die Entstehung der Texte, ihr Keimen und Wachsen. Was für eine Erscheinung: die entrückte Sprache, die schneckenhafte Langsamkeit und die vollkommene Abwesenheit von Eitelkeit. Hinterher saß man in einem Café beisammen. Mit von der Partie: eine junge Deutsche, die sechs Monate vor dem Mauerfall aus Leipzig geflohen war und seitdem ihr Glück in Paris suchte. Sie verständigte sich ohne Worte mit der Dichterin aus der untergegangenen DDR, die dasaß mitten im Quartier latin und staunte wie ein Kind.
Sascha Anderson lebt heute fernab von denen, die er verriet (darunter Elke Erb). Man sieht ihn gelegentlich in Frankfurt am Main in Begleitung eines auffallend schönen Hundes. / Ina Hartwig, FR 25.8.
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