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Lohsa. Unauffällig, ja fast abseits steht es am Marktplatz. Das Denkmal für Pfarrer Handrij Zejler (1804- 1872) würdigt den „Ahnvater der sorbischen Poesie“. So verehrte ihn einst der tschechische Schriftsteller und Volkskundler Adolf Cerny. Denn fast ein Jahrhundert prägte Zejler die Literatur der Sorben. Lyriker Kito Lorenc hebt seine Verssprache hervor. Wer jedoch war Handrij Zejler (Andreas Seiler), dessen Geburtstag sich am 1. Februar zum 200. Mal jährt? … 1827 bereits entstand sein Gedicht „Rjana Luzica“ (die heutige sorbische Nationalhymne); 1842 bis 1848 gründete und redigierte Zejler die Wochenzeitung „Tydzenska Nowina“ (das erste sorbische Presseorgan von Bestand), 1845 war er Mitbegründer der späteren sorbischen wissenschaftlichen Gesellschaft Macica Serbska, 1848 rief er die ersten sorbischen Bauernvereine der preußischen Oberlausitz ins Leben; bis heute beliebt und viel gespielt sind seine von Korla Awgust Kocor vertonten lyrischen Zyklen „Pocasy“ (Jahreszeiten) und „Serbski kwas“ (Sorbische Hochzeit). … „Handrij Zejler hat Lohsa zum Zentrum der sorbischen nationalen Bewegung gemacht“, so Werner Thomas. „Davon hat die gesamte Region profitiert.“ Das Erstaunliche: Manch Gutsbesitzer und Unternehmer lernte damals sorbisch. „Weil sie merkten: Um mit den Menschen hier klarzukommen, muss man ihre Muttersprache kennen“, sagt Werner Thomas. / Sächsische Zeitung 31.1.04
Biographie Zejlers
Handrij Zejler dichtete gelegentlich auch in deutscher Sprache. Zu seinen sorbischen Gedichten, Liedern und Fabeln finden deutsche Leser Zugang durch Nachdichtungen, vor allem von Kito Lorenc, Jurij Brezan und Elke Nagel, aber auch von Zejler selbst. Nach Zejlers Tod gab Professor Arnost Muka, angeregt von sorbischen Studenten, zwischen 1883 und 1891 eine Auswahl von Zejlers Werken in vier Bänden heraus. Mit einer sieben Bände umfassenden Gesamtausgabe, erschienen zwischen 1972 und 1996, wurde sein Werk durch Professor Lucija Hajnec erstmals vollständig zugänglich gemacht.
Polnischer Lexikoneintrag
Srbská cítanka
Ein Gedicht Zejlers (die sorbische Hymne) sorbisch und deutsch (in etwas verstümmelter Form)
Sorbisches Ostergedicht Zejlers zweisprachig
Anthologie sorbischer Poesie vom 16.-20. Jh. auf Englisch (Volltext als pdf!)
(warum auch nicht – lesen wir in Deutschland geschriebene Poesie halt auf Englisch!)
Auszug aus dem Vorwort:
The very existence of the Sorbs, a Slavic minority in Germany, may be a surprise to many. After coping bravely with the difference between Slovakia, Slovenia and Slavonia, the English-speaking reader might be forgiven initially for thinking, or hoping, that Sorbian is simply a misspelling for Serbian.
Umfangreiche finnische (!) Linksammlung zu sorbischen Themen – die Titel sind finnisch, aber die Artikel oft deutsch, wie hier:
Michael Braunin artikkeli Róža Domašcynasta***)
„Eure Waschmaschinka ist kaputt“ — Carsten Hueck haastattelee Róža Domašcynaa (der Freitag 13)
Darin findet sich auch ein Leserbrief an die FAZ vom 26.8. 2000, Auszug:
Zum Artikel „Von den Bretonen lernen“ (F.A.Z. vom 10. August):
Es stimmt auch nicht, daß „die Sorben zu wenige sind, um eine politische Interessenvertretung aufbauen zu können, wie sie etwa die dänische Minderheit in Schleswig hat“. Tatsache ist, daß nicht mehr Dänen im Bundesland Schleswig-Holstein als Sorben in der Ober- und Niederlausitz leben. Daß die in Schleswig-Holstein lebenden Dänen seit 1958 immer im Landtag vertreten sind, hat andere Gründe. Durch zeitgleiche Erklärungen in Bonn und Kopenhagen wurden 1955 die Rechte der jeweiligen Minderheit im Grenzland geregelt, die den Südschleswigschen Wählerverband (SSW) bei Wahlen von der Fünf-Prozent-Klausel befreien. Das hat es für die Sorben in Brandenburg und Sachsen nie gegeben.
Bestünden dort ähnliche Verhältnisse wie für die Dänen in Schleswig Holstein, hätte gleich nach den ersten freien Wahlen auch ein Sorbe in den Landtag von Brandenburg einziehen können, wo es in den letzten zehn Jahren noch nie einen sorbischen Abgeordneten gab. Nach den ersten freien Landtagswahlen in Sachsen nach der Wende gab es immerhin fünf sorbische Abgeordnete in Dresden. Inzwischen sind es nur noch zwei. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn sowohl in Sachsen als auch in Brandenburg nach dem Vorbild Schleswig-Holsteins den Sorben gesetzlich garantiert würde, daß sie zumindest mit einem Mandat in Brandenburg und zwei Mandaten in Sachsen im Landtag vertreten sind, da in Sachsen 40 000 Sorben leben.
Man muß sich im übrigen darüber wundern, daß das Interesse an der sorbischen Sprache und der wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit den Sorben im Ausland oft größer ist als in vielen Teilen Deutschlands. Wenn demnächst in Kioto ein Japanisch-sorbisches Wörterbuch in einer Auflage von 3000 bis 5000 Stück erscheint und die 1926 von Sorben in Texas gegründete Concordia University-Austin, an der heute noch 15 Prozent der Lehrer sorbischer Herkunft sind, einen Vertrag mit der Domowina über wissenschaftliche Zusammenarbeit und Studentenaustausch unterzeichnete, dann wird darüber vor allem der Intendant des Mitteldeutschen Rundfunks staunen. Dieser verweigert den in Sachsen lebenden Sorben noch immer wenigstens eine monatliche halbstündige Magazinsendung in sorbischer Sprache, die es für die 20 000 Sorben in Brandenburg bereits seit acht Jahren vom Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg gibt.
Hans Lindemann, Köln
***) Zu dem Artikel „Michael Braunin“ hier ein multilinguales Gedicht der sorbisch-deutschen Dichterin Roza Domascyna:
Wortall
© Roza Domascyna
atest a avenue
bomy die bäume im baumeln
der blätter w bubnjowanju bebend
die bettelmannslaus schelc bidens tripartitus
das bandoneon der beutel die dublierte dublone
und chmel der hopfen humulus lupulus
der humpen aus holz das Mewo
aus dem der bleistift ist beim balbieren
des idioms das ido
das jadro das kernstück
der lärche in der kehle der laryngallaut
das madam und der madrigal
die melde und die meldung
die mahr und das nachtkabarett
der narzismus und die nänie
das nasche und das nein
das oh und die onanie
die oferta und die obsession
der paladin und der palankin
der patrijotism der witz prysl
der psowy jasyk polygonum amphibium
der quiz und die querele
die ruta raute der reiz die rafinesa
der radikalism und der rausch
das salut im salto
jede schtunda a sekunda
der wegerich schkorodlej
die syrotka viola tricolor
das tableau der tabulator
die tabula rasa
noch die letzte untza undulatzija
bis zum überschwappen überlappen
das vis-ä-vis variete
vatikan der campari mit campus und pappus
pappos papa mein sein smeschk a trysk
der witz aberwitz das xenion
das yin und das yang der diphthong
die zwillinge und ihr lapsus mit zwei
das doppel potrjebnych paarhufer
das parlando psejskobanetzysatraschnefufzig
des skatbruders schkotars seine sau
die reizt und sticht
die träne aus dem schnupftuch die spur
des sex und die sechs
die sich aus dem füll
halter entläßt ohne zäsur als zahl und zensur
die zeit ihr weg seine tilgung
fließt in den text
1997
(Fortsetzung folgt)
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