10. Lose Blätter

Mit Panthern, Bären und Giraffen hätten die Menschen friedlich auf der Wiese gelegen. Was hier beschworen wird, ist mitnichten eine Szene aus dem Garten Eden, vielmehr eine Erinnerung vom Tag nach dem Bombardement, das in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 Dresden zerstört hat. Damals waren die Ausgebombten nach dem nächtlichen Inferno auf die nahen Elbwiesen geflüchtet, um den Brandherden und weiteren Angriffen zu entkommen. Aus dem Zoo im Grossen Garten waren indessen auch die Tiere ausgerissen, und die Reminiszenz hat später Mensch und Tier zum pastoralen Bild gefügt, als ob es sich um einen Rückfall ins Paradies gehandelt hätte. Aber Marcel Beyer, 1965 geboren und heute in Dresden lebend, entdeckt den Widerspruch in diesem Tableau. «Ohne Bomben keine freilaufenden Tiere», lautet sein Befund, denn die Raubtiere sind in Panik aus Käfig und Gehege ausgebrochen. So ist auf Erinnerungsbilder wenig Verlass, und der Historiker muss Fakten von Fiktionen trennen, während der Schriftsteller «immer Teil des Bildes» ist. / Beatrice Eichmann-Leutenegger NZZ 6.2.04 über

Lose Blätter, Heft 27, Januar 2004. Herausgegeben von Renatus Deckert und Birger Dölling, mit Fotos von Jacqueline Merz. Euro 1.50 (Ebelingstrasse 1, 10249 Berlin).

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