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[Richard] Anders, der in Athen und Zagreb deutsche Sprache und Literatur unterrichtete, ist als Schriftsteller erst in den 60er Jahren an die Öffentlichkeit getreten. Nachdem er durch den kroatischen Surrealisten Radovan Ivsic´ als „Sympathisant“ in André Bretons Pariser Zirkel eingeführt worden war, veröffentlichte er 1969 seinen ersten Gedichtband, „Die Entkleidung des Meeres“, 1979 die „Zeck“-Geschichten – beides Werke, die in den fließenden Grenzen zwischen Dingwelt und Menschenwelt, der Verschränkung von Bildhaftigkeit und Sprachspiel deutliche Spuren der surrealistischen Ästhetik zeigen. „Während du weggehst und wiederkehrst“, heißt es in dem 1980 erschienenen Gedichtband „Über der Stadtautobahn“, „füllen Jahre den Himmel aus, / Antworten übereinandergeschrieben, bis / alle Bedeutung in ihnen verschwunden ist.“
Anders ist dem Surrealismus, der sich längst ins Zeitlose zurückgezogen hatte, als es zur Begegnung mit Breton kam, nie vorbehaltlos gefolgt. Was ihn faszinierte, war das Verfahren des „psychischen Automatismus“, Botschaften aus dem Unbewussten – Träume, Ahnungen, Phantasien, unzusammenhängende Satzfetzen – zu sammeln. Erst in einem zweiten Schritt folgt dem Spiel der Bilder und Assoziationen, dem freien Laufenlassen der Hand die Überarbeitung, die seinen Gedichten und Prosatexten Form und Verbindlichkeit gibt. Nach diesem Verfahren geht er bis heute vor – als Einzelgänger wie die wenigen deutschen Surrealisten überhaupt, die es gegeben hat und noch gibt.
Die Wende hat Anders eine neue interessierte Leserschaft hinzugewonnen, seinen vielfach mit eigenen Collagen ausgestatteten Texten neue Publikationsmöglichkeiten gebracht wie die Ostberliner „Edition Maldoror“ und die Zeitschrift „Herzattacke“. 1998 ist ihm in Greifswald der Wolfgang-Koeppen-Preis verliehen worden. Im Verlag des dort erscheinenden „Wiecker Boten“ hat er jetzt den Sammelband „Wolkenlesen“ veröffentlicht, der auf Rundfunkessays und Vorträgen der 90er Jahre beruht. „Wolkenlesen“ enthält die Quintessenz seiner Erfahrungen mit den zum Schlaf überleitenden hypnagogen Bildern, den Grauzonen äußerer und innerer Realität. / Rolf Strube, Tagesspiegel 5.4.03
Richard Anders: Wolkenlesen. Über hypnagoge Halluzinationen, automatisches Schreiben und andere Inspirationsquellen. Verlag Wiecker Bote, Greifswald 2003. 169 Seiten, 15 €.
Richard Anders: Marihuana Hypnagogica. Protokolle. Verlag Druckhaus Galrev, Berlin 2002. 147 Seiten, 20 €.
Richard Anders stellt von Sonnabend, den 17. Mai an für 3 Wochen seine Originalcollagen zu „Marihuana Hypnagogica“ im Rahmen der nächtlichen Schau „Mysterien“ im Schloß Penkun aus.
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