Dinçer Güçyeter
Aus dem "Tagebuch des Nachtfalters"
in meiner Erinnerung
wächst nur das Efeu auf der Wohnzimmertapete
alles andere muss noch eine Sprache lernen
wann wird sie aufwachen, die Mutter
mehr Vergangenheit hab ich nicht
mit dem Schürhaken steht sie vor dem Gussofen
mit ihrer Waffe schiebt sie den Ring zur Seite
die Obstschalen in Zeitungspapier gewickelt
mein Blick, meine Handschrift landen im Feuer
wer hat diese Gedichte geschrieben
ich bin der Nachtfalter, und wer sind sie
wenn ich Dinçer heiße
wer hat dann diese Gedichte geschrieben
antworten sie bitte auf script@elifverlag.de
Aus: Dinçer Güçyeter, Mein Prinz, ich bin das Ghetto. Gedichte. Elif Verlag 2022 (5. Auflage), S. 75, 76, 82
Für den Band, aus dem diese Gedichte stammen, erhielt Dinçer Güçyeter den Peter-Huchel-Preis 2022.
Irit Amiel
(hebräisch עירית עמיאל; geboren als Irena Librowicz, 5. Mai 1931 in Częstochowa, Polen; gestorben 16. Februar 2021), eine polnisch-israelische Dichterin und Übersetzerin, die auf Polnisch und Hebräisch schrieb)
JEDEN TAG STERBEN jetzt jene die einst auferstanden
Sie sterben normal wie alle an Alter
Schlaganfall Herzinfarkt Zucker Verbitterung Krebs
Sie sterben in sauberen Betten mit angelegtem Tropf
zwischen modernen Geräten und uralten Tränen
Nicht wie einst ihre Geschwister Eltern Frauen und Kinder
die starben auf zigtausend extravagante Arten
Sie sterben unwillig nicht gesättigt vom Leben nehmen mit sich
das dröhnende Schweigen und den stummen Schrei und hinterlassen
neue Familien und ihr in Sonne getauchtes Letztes Land.
Aus dem Polnischen von Bernhard Hartmann, aus: Sinn und Form 2/2024, S. 187
Ich habe lange nach einem Gedicht des Dichters Heinrich Reder zu dessen 200. Geburtstag gesucht, vergeblich. Soviel lyrisches Geklinge, Liebes-, Wald- und Wiesenverse, dazu Landsknechtslieder und Balladen. Im Münchner Digitalisierungszentrum gibt es das Arbeitsexemplar seiner „Gedichte“ von 1859 mit eingebundenen leeren Seiten mit zahlreichen handschriftlichen Anmerkungen, offenbar für die Vorbereitung einer späteren Gedichtauswahl. Viele Gedichte sind durchgestrichen – zu Recht. Aber auch die anderen fand ich kaum brauchbar. Immerhin mit einem Gedicht gelang ihm, was der DDR-National- und bayrische Heimatdichter Johannes R. Becher sich als das Höchste wünschte: „als namenloses Lied durchs Volk zu ziehn“. Ich selber habe es nie als Lied gesungen gehört, sondern nur gelesen, aber Passagen daraus kommen in einem anderen Lied vor, das in der DDR-Schule und in der „Nationalen Volksarmee“ gesungen wurde: „Wir sind des Geyers schwarzer Haufen, heia hoho – und wollen mit Tyrannen raufen, heia hoho“. (Es wurde nicht nur in der DDR gesungen, sondern auch von der SS und früher von bündischen Jugendgruppen und auch in der Arbeiterbewegung. (Später unter anderem von Heino und anderen Barden).
Das „Original“, aus dem dieses „Volkslied“ nach dem ersten Weltkrieg zitiert, stand nach dem zweiten in einem Liederbuch, das der Sänger Ernst Busch 1949 in Ostberlin herausgab:

Aus: Internationale Arbeiterlieder. herausgegeben von Ernst Busch am 1. Mai 1949 im Verlag Lied der Zeit, Berlin.
Es ist das erste Gedicht der Sammlung auf Seite 3. Es stammt aber nicht aus dem Bauernkrieg, sondern wortwörtlich von Heinrich Reder von 1888. Seine Lebensdaten seien nachgereicht.
Heinrich Reder
(seit 1871 Ritter von Reder; * 19. März 1824 in Mellrichstadt; † 17. Februar 1909 in München)
Kristin Schulz
20
min vater der mich slacht min mutter
die mich aß wie quälst du mich so kenn ich
dich die fügung ohne ausgang bis der lauf
auf die knochen setzt haltbar das herz zieht
blutige kreise außer gefecht so quälst
du mich wie nenn ich dich mein freier
fall min schwester min marleniken
ist längst schon tot so fürchterlich
und ich wie singe ach ich vergaß
refrain und reim und stein
Aus: kristin schulz: gesammelte fehlmärchen. gedichte. Frankfurt/Main: gutleut, 2014 (reihe staben nr. 1), S. 26
B. K. Tragelehn
(* 12. April 1936 in Dresden)
Horrid Laughter
für K. D. Wolf
Karthago ist zerstört und Cato spottet
Was ist Rom ohne seine Feinde Nichts
Untergegangen die Armada Spanien
Träumt und Britannia rules the waves usw.
Die Mauer ist gefallen in Berlin
(Nein keine Wende nur ein Weiter so)
Und wo ist jetzt der Feind Sieh in den Spiegel
Die Festung Europe wartet auf den Süden
Wie einst Rom hat gewartet auf den Norden
Shoppen und Ficken goldener Zeitvertreib
Dauernd der Lärm die Stille rasend Wer
Niemals zuvor gelacht hat lacht jetzt sehr
Und wer stets lachte lacht jetzt um so mehr
Aus: Es gibt eine andere Welt. Eine Anthologie aus Sachsen. Neue Gedichte. Herausgegeben von Andreas Altmann und Axel Helbig. Leipzig: poetenladen, 2011, S. 123
Heute vor 400 Jahren wurde Johann Georg Albinus (oder Albini) in Unternessa im Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt geboren. Anders als die drei Jahre ältere Generationsgenossin Sibylla Schwarz hat er sich einen Namen gemacht in der Dichtermännerwelt. Man nennt ihn auch Johann Georg Albinus den Älteren in Abgrenzung zu seinem Sohn, den er auch Johann Georg nannte und der auch ein Dichter wurde – Johann Georg Albinus der Jüngere (1659-1714). Der Vater war Pastor und schrieb geistliche und weltliche Gedichte, der Sohn wurde ein durchaus weltlicher Schriftsteller und gab u.a. nachgelassene Gedichte von Paul Fleming heraus. Bei den identischen Namen konnte es nicht ausbleiben, dass die Werke des Sohnes manchmal dem Vater zugeschrieben wurden. Oder vielleicht auch umgekehrt. Heute habe ich ein Gedicht des älteren Albinus herausgesucht. Geistliche Gedichte müssen nicht allemal steif und ehrwürdig sein. Sibylla Schwarz wusste das auch und gab wie Albinus gelegentlich dem poetischen Affen Zucker, dass es krachte. So auch Albinus – kein Wunder, es geht um die Hölle. Es heißt aber „Folterung“ (das war ja die Generation, die bis Mitte 20 nur Krieg kannte).
Die Schreibweise folgt dem Original (man muss manchmal zweimal hinsehen, ob es „prahlen“ oder „prallen“ heißen soll oder ob „Keulen“ in der letzten Zeile Substantiv oder Verb ist).
Johann Georg Albini der Ältere
(* 6. Märzjul. / 16. März 1624greg. in Unternessa; † 25. Maijul. / 4. Juni 1679greg. in Naumburg (Saale))
Folterung
Rauß ihr Geister in der Höllen /
Tretet an die Folter stellen
Schleppet / schlaget / reist und beist /
Rücket / rauffet / kratzt und schmeist
Brennet alle Fackeln an /
Werffet her den Drachen Zahn /
Mit Gifft auffgelauffnen Molchen /
Stost mit euren Feuer Dolchen /
Durch die überrusten Hölen /
Schnappt ihr Teuffel nach den Seelen /
Hir ist weder Rast noch Ruh /
Höllen-Schlaf entweiche du /
Auff O ihr erglüten Zangen /
Last nichts an einander hangen /
Foltert / Poltert / zehrt / und ränckt /
Trücket / zücket / dehnt und schwenkt /
Tytius* der Vogt der Drachen /
Regelt auff den schwartzen Rachen.
Die Sturme die brausen
Die Fluten die sausen /
Die Faunen die rasen /
Die Hencker die blasen
Die Furien lachen /
Die Drachen die wachen /
Die Donner die pralen /
Die Wetter die strahlen /
Die Blitze die fallen /
Die Bränder** die knallen /
Die Funcken die fliegen /
Die Nächte die siegen /
Die Rosse die rasseln /
die Reder die brasseln /
Die Klüffte die zittern /
Die Steine die splittern /
Die Wespen die summen /
Die Geister die brummen /
Die Geyer die girren /
Die Reyher die irren /
Die Schlangen die spielen /
Die Kröten die wühlen /
Die Armen die heulen /
Die Teufel die Keulen.
*) Titius ist eine Figur in Dantes Hölle, die wie Prometheus an einen Felsen geschmiedet und dem Geier ausgesetzt ist.
**) Vielleicht dies:
Bränder, 1) (Kriegsw.), so v.w. Zündlicht; 2) so v.w. Zünder; daher Bränderkitt, so v.w. Zünderkitt; 3) (Kohlenbr.), so v.w. Brand 4). Quelle: Pierer’s Universal-Lexikon, Band 3. Altenburg 1857,
Aus: Schwund- und Kirchenbarock (Barocklyrik Band 3), hrsg. von Herbert Cysarz. Leipzig: Reclam, 1937, S. 224f. Erstdruck: A & O. Quaal der Verdammten Betrachtet / Erwogen Durch Johann Georg Albini v. Weissenfels im Jahr 1653.
Nils-Aslak Valkeapää
(* 23. März 1943 in Enontekiö; † 26. November 2001 in Espoo)


Aus dem Samischen von Bodo Fehlig. Der Text entstammt dem Gedichtband „So fern, so nah“. In: EISWASSER. Heft III/IV – Jahrgang 5 / 1998 2. Auflage, Vechta – November 1999: Finnland special. Herausgegeben von Joachim Gerdes, Dagmar Mißfeldt, Jörg Ridderbusch 2. überarbeitete Auflage 1999, S. 159f
NILS-ASLAK VALKEAPÄÄ, samisch-finnischer Dichter und Künstler, außerdem Lehrer. Valkeapää wurde anfangs als Wiederbeleber und Sänger traditioneller samischer Joiks (samische Volksmusik) bekannt. Seine Schriftstellerlaufbahn begann er mit der polemischen Schrift Terveisiä Lapista (1971), das gleichzeitig den Beginn seines unermüdlichen Einsatzes für die Bewahrung und Gleichberechtigung der Kultur, Sprache und des Lebensraumes der samischen Minderheiten im Norden der skandinavischen Länder markiert. Valkeapää schreibt seine Werke parallel auf samisch und finnisch. Seine lyrischen Werke sind geprägt vom traditionellen samischen Weltbild mit einer besonders stark verinnerlichten Naturverbundenheit. In deutscher Übersetzung liegt neben Gedichten in Anthologien der Band Ich bin des windigen Berges Kind: Gedichte, Lieder und Texte aus Lappland (Im Waldgut, 1985) vor. (a.a.O.)
Nuala Ní Dhomhnaill
Nuala Ní Dhomhnaill, * 1952 in Lancashire, England, ist eine irische Dichterin.
Das Sprachproblem
Ich lege meine Hoffnung auf das Wasser
in dieses kleine Boot
der Sprache, so wie man
ein Kind
in einen Korb aus geflochtenen
Iris Blättern legt,
seine Unterseite abgedichtet
mit Bitumen und Teer
und dann das ganze Ding zwischen
das Riedgras
und die Binsen an ein Fluß
ufer setzt
bloß damit es hierhin und dorthin getragen wird
und man nicht weiß, wo es landen wird;
vielleicht im Schoße
einer Pharaonentochter.
Aus dem Gälischen von Andrea Mc Tigue, aus: Eiswasser III, 1996 (Irland Spezial), S. 87
Inhalt der Zeitschrift im Lyrikwiki
Rose Ausländer
(* 11. Mai 1901 in Czernowitz, Österreich-Ungarn, heute Ukraine; † 3. Januar 1988 in Düsseldorf)
Fünf Dichter
Hölderlin
um Gerechtigkeit ringender
Götterfreund
Trakl
seine herbstliche Melancholie
Rilke
der Gott erschafft
Der verzweifelte
Celan
Li-Tai-Po
der fröhliche
singt
Aus: Rose Ausländer: Gedichte. Hrsg. Helmut Braun. Frankfurt/Main: S. Fischer Taschenbuchverlag, 2012, S. 92
Michael Augustin
(* 13. Juni 1953 in Lübeck, lebt in Bremen)
Wie es so geht
Den Gedichten geht es heutzutage erheblich besser und schlechter. Sie werden eindeutig von mehr oder weniger Leuten gelesen. Den meisten Passanten sind Gedichte völlig egal, Lehrern, Redakteuren und Buchhändlern sind sie noch egaler. Am egalsten sind sie den Verlegern. Wer Gedichte verfasst, darf sich, muss es aber nicht, obwohl das dringend anzuraten ist, Dichter oder Poet nennen, ohne dafür, wie noch unlängst üblich, ausgelacht zu werden, und wird mit Preisen aller Art zugeschüttet, es sei denn, er wird es nicht. Die Jungen sind alt, die Alten jung, die Toten am lebendigsten. Alles reimt sich auf Berlin. Was sich nicht auf Berlin reimt, reimt sich nicht. Es reimt sich einiges, das sich nicht reimt.
Aus: Michael Augustin: Immer was zu knabbern. Ausgewählte Gedichte & Miniaturen, Bremen: Edition Temmen, 2023, S. 13
Nachgeholt zum 30. Todestag (gestern):
Charles Bukowski
(* 16. August 1920 als Heinrich Karl Bukowski in Andernach; † 9. März 1994 in San Pedro, Los Angeles)
AN DIE NUTTE, DIE MIR
MEINE GEDICHTE GESTOHLEN HAT
Manche meinen, wir sollten unseren
privaten Frust aus dem Gedicht
raushalten, abstrakt bleiben,
und dafür spricht schon einiges,
aber Menschenskind, zwölf Gedichte weg,
und ich mache nie Durchschläge, und
meine Bilder hast du auch geklaut,
meine besten noch dazu, es ist
niederschmetternd – willst du mich
am Boden zerstören, so wie all die anderen?
Warum hast du nicht mein Geld genommen?
Die Flittchen holen sichs fast immer
aus meinen Hosen, die krank und besoffen
in der Ecke schlafen.
Nächstes Mal nimm meinen linken Arm
oder einen Fünfziger, aber nicht meine Gedichte.
Ich bin zwar nicht Shakespeare
aber manchmal kommt einfach
nichts mehr nach, abstrakt oder sonstwie.
Geld wirds immer geben, und Nutten und Säufer,
bis die letzte Bombe fällt,
aber, wie Gott damals sagte
nach getaner Arbeit:
Ich sehe, daß ich ne Menge Dichter
geschaffen habe,
aber nicht so besonders viel
Kunst.
Deutsch von Carl Weissner. Aus: Charles Bukowski: Western Avenue. Gedichte aus über 20 Jahren. 1955—1977. Frankfurt/Main: ZWEITAUSENDEINS, 1979, S. 10

to the whore who took my poems
some say we should keep personal remorse from the
poem,
stay abstract, and there is some reason in this,
but jezus;
twelve poems gone and I don’t keep carbons and you have
my
paintings too, my best ones; it’s stifling:
are you trying to crush me out like the rest of them?
why didn’t you take my money? they usually do
from the sleeping drunken pants sick in the corner.
next time take my left arm or a fifty
but not my poems:
I’m not Shakespeare
but sometime simply
there won’t be any more, abstract or otherwise;
there’ll always be money and whores and drunkards
down to the last bomb,
but as God said,
crossing his legs,
I see where I have made plenty of poets
but not so very much
poetry.
Aus: Charles Bukowski, Burning in Water, Drowning in Flame: Selected Poems 1955–1973 (1974)
Walter Gröner
(* 25. November 1950 in Heubach, Württemberg)
Woraus schöpft der Poet?
So geht's nicht, daß ich dir einfach weiter
und weiter erzähle;
Lies doch (Beispiel) ein Jahr lang
vorm Schlafengehn Gryphius, Rilke,
Trakl und Johannes Beer.
Unterbrich deine tägliche Arbeit, frag,
wie sich beides verträgt.
Falle in Löcher. Wende dich ab von der
schönen Natur.
Stehe manchmal belämmert umher.
Wenn die Schwärze nicht weicht, singe laut
ein Sonett aus der Erinnerung, oder es kann
auch was Selbstgedichtetes sein.
Bilde Worte. Trage die Worte wie Kohlen
in jedes Gelände hinaus.
Bevor es ganz unerträglich brennt,
schmeiß sie wohin.
Sage zum Dichter: da liegen Brocken von mir.
Werde nicht gleich wieder frech.
Aus: Was sind das für Zeiten. Deutschsprachige Gedichte der achtziger Jahre. Herausgegeben von Hans Bender. Frankfurt/Main: S. Fischer, 1990 (Lizenzausgabe, zuvor Hanser 1988), S. 201f
Elisabeth Borchers
(* 27. Februar 1926 in Homberg, Niederrhein; † 25. September 2013 in Frankfurt am Main)
Ein paar Dichter
Nach der Lektüre von Gedichten
in einer literarischen Zeitschrift
Der Damalige
Er ist wieder da.
Ein Rückfall in die Begabung
von gestern
und schreibt ein Gedicht.
Ich horche
nicht mehr wie damals
als uns die Jugend zunichte machte
und groß.
Der Alltägliche
Er kennt keine Blockaden.
Auch die Rasur ist ein Thema,
das Blut leuchtet
wie Woyzeck dem Büchner.
Nur schreibend bist du ein Dichter
nur so.
Mit einem Kopf der dich trennt
von dir und den anderen
im Schwindel
der die Stufe als Abgrund erkennt
daß dich schaudert.
Der Schweigsame
Kein Wort gelingt, schreibt er,
kein Wort.
Und schreibt und schreibt.
Das Schweigen, schreibt er,
ohne Antrieb, Zeit noch Gegenwart
und schreibt
daß es die Seiten schwärzt
bis zur Unlesbarkeit.
Du schöne Kunst,
bewundernd halt ich ein.
Aus: Was sind das für Zeiten. Deutschsprachige Gedichte der achtziger Jahre. Herausgegeben von Hans Bender. Frankfurt/Main: S. Fischer, 1990 (Lizenzausgabe Hanser 1988), S. 64
Jürgen Theobaldy
(* 7. März 1944, heute vor 80 Jahren, in Straßburg)
Rilke-Abend
An einem dieser altbekannten
langen Winterabende
setzte sich Rilke an den Sekretär
um einen seiner berühmten
langen Briefe zu verfassen
Doch fiel ihm diesmal nichts ein
und er knipste das Radio an
hörte eine Feuilletonsendung
schrieb schließlich: «Oh Radio
treuer Gefährte langer Winterabende
an denen ich ein kaltes Eis am Stiel bin!»
Das geschah
kurz bevor er seine Sympathien
für die Münchner Räterepublik entdeckte
Aus: Jürgen Theobaldy, Blaue Flecken. Gedichte. Mit Zeichnungen von Berndt Höppner. Reinbek: Rowohlt, 1979 (7.-8. Tsd.), S. 70
Mein, Exemplar, antiquarisch erworben, ist von der 3. Auflage, die 1. von 1974, die Erstausgabe, erschien in 4000 Stück, 1976 und 1979 wurden je 2000 nachgedruckt. Ein Dani hat es acht Jahre nach Erscheinen einer Katharina geschenkt und mit Kugelschreiber eine Widmung hineingeschrieben, worin er sie zum Schreiben auffordert, „Du kannst es“. Ob sie der Aufforderung gefolgt ist, weiß ich nicht und auch nicht, was aus Dani und Katharina geworden ist. Auf der Titelseite hat jemand ein mit „D.K.“ unterzeichnetes Gedicht hineingeschrieben. Es geht nicht nur um die Dichter, wenn wir ihre Bücher lesen.


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