„Meteor kosmos nach ziel licht

mitte linie das andere tafel ebe ne stunde kopf sonde feile hammer messer.“ Dies ist kein Gedicht von Ernst Jandl, sondern ein Telegramm von Karl Kraus und zugleich eines der vielen unverhofft schönen Momente in diesem außerordentlichen Briefwechsel, den man wegen der vielen, meist weniger poetisch formulierten Depeschen zunächst mit einer Geschäftskorrespondenz verwechseln könnte. [Nämlich Kraus´ Titelvorschläge an Herwarth Walden. Für eine Zeitschrift, die dann aber „Der Sturm“ hieß.] / Leo Lensing, Die Presse , Wien 11.1.03

Feinde in Scharen. Ein wahres Vergnügen dazusein Karl Kraus – Herwarth Walden, Briefwechsel 1909-1912, Hrsg. von George C. Avery, 680 S., Ln., € 50,40 (Wallstein Verlag, Göttingen)

Drug writing

Perhaps the finest writer ever to use speed systematically, however, was W. H. Auden. He swallowed Benzedrine every morning for twenty years, from 1938 onward, balancing its effect with the barbiturate Seconal when he wanted to sleep. (He also kept a glass of vodka by the bed, to swig if he woke up during the night.) He took a pragmatic attitude toward amphetamines, regarding them as a „labor-saving device“ in the „mental kitchen,“ with the important proviso that „these mechanisms are very crude, liable to injure the cook, and constantly breaking down.“
Auden seems to have been the only unquestionably major writer to use drugs in quite this way, as a direct source of energy for his work. He represents the apotheosis of a utilitarian approach to drugs; and it is therefore logical, if he was going to take drugs, that he would gravitate toward speed, which is the utilitarian drug par excellence. By comparison, alcohol is a very bad working drug for writers. / The New Yorker 6.1.03 über

HIGH STYLE
by JOHN LANCHESTER
Writing under the influence

Blaues Lied, persisch

Farhad Showghi hat diese Sprachgebilde behutsam, in knapper Diktion und doch mit genügend innerem Leuchten übersetzt, so dass zusammen mit den Tonaufnahmen ein nachhaltiger Eindruck dieser fremdartigen poetischen Diktion und der ihr zugrunde liegenden Gefühlswelt vermittelt wird. /Stefan Weidner, NZZ 18.12.02

Ahmad Shamlu: Blaues Lied. Gedichte. Persisch/Deutsch. Übersetzt von Farhad Showghi. Mit Audio-CD. Urs Engeler Editor, Basel 2002. 136 S., Fr. 36.-.

Viel Pubertäres und eine Ausnahme

sieht der Rezensent der Süddeutschen in einem Hörbuch vom Hamburger Poetry Slam (17.12.02)

International German Poetry Slam 2001. Live-Mitschnitt aus der Hamburger Markthalle November 2001. 2 CDs, 130 Minuten Gesamtlaufzeit. Hoffmann und Campe Verlag, 2002. 21,90 Euro.

Antonio Porchia

NZZ 17.12.02 bespricht einen Band mit knapp 600 aphoristischen Texten des „Italo-Argentiniers“ Antonio Porchia. Aus dem Klappentext:

Die Schriftsteller Rene Char, Raymond Queneau und Henry Miller verehrten sein poetisches Werk. Miller nahm es in „The books of my life“ auf, während Queneau das Buch in „Pour une bibliotheque ideale“ empfahl. Heute gehören Schriftsteller wie Peter Handke oder Botho Strauß zu seinen Bewunderern.

Antonio Porchia

„Voces / Stimmen“
Gedichte (spanisch/deutsch)

edition tropen 3, Tropen Verlag, Köln 1999, ISBN 3932170202
Broschiert, 130 Seiten, 15,24 EUR

Voces/Stimmen (132 S., Fr. 28.80). Voces abandonadas / Verlassene Stimmen (136 S., Fr. 27.30). Beides herausgegeben und aus dem argentinischen Spanisch übersetzt von Juana und Tobias Burghardt. Tropen-Verlag, Köln 1999 und 2002

George Forestier

In der Textgalerie des Freitag (Nr. 51) erinnert Michael Buselmeier an Aufstieg und Sturz des Lyrikers George Forestier (der hatte 1952 mit dem Gedichtbuch „Ich schreibe mein Herz in den Staub der Straße“- angeblich von einem Fremdenlegionär geschrieben – fast die gesamte Fachwelt genarrt, die sich mit fernerem Totschweigen rächte).

/ 17.12.02

Keine anderen Juden

Über ein „Gespräch im kleinen Kreis“ um Mahmoud Darwish im Wissenschaftskolleg Berlin berichtet Martina Sabra für die NZZ (16.12.02):

Der junge Darwish entdeckte die Weltliteratur auf Hebräisch, liebte ein jüdisches Mädchen, schrieb Gedichte und protestierte gegen die Unterdrückung der arabischen Minderheit in Israel, bis 1970. … …

Navid Kermani, der Gastgeber und Moderator, wies darauf hin, dass gegenwärtig zwei Literaturtraditionen existenziell von der Erfahrung kollektiver Vertreibung und Vernichtung geprägt seien: die palästinensische und die jüdische. Mahmud Darwish schien mit dieser Analogie jedoch wenig anfangen zu können, geschweige denn Schlüsse für das Verhältnis von Palästinensern und Israeli daraus ziehen zu wollen. «Die Palästinenser sind vielleicht dazu bestimmt, eine Art Juden zu sein», sagte er nachdenklich. «Aber die Israeli dulden keine anderen Juden neben sich.»

Gedichte zum Samstag

In der Süddeutschen vom 14.12.02 bekennt sich Matthias Politycki – nämlich „zur Fraktion von Robert Gernhardt und seinen Adepten“ (sagt Joachim Sartorius) – – – In der NZZ hält Hans Magnus Enzensberger Abschied von Max Sebald, und in der FAZ-Anthologie kommentiert Walter Hinck Theodor Storms Weihnachtslied.

Giordano Brunos Welt-Kombinatorik

Durch Sprache wird für Bruno die Welt konstituiert. Die Dialoge über die heroischen Leidenschaften haben ihre Angelpunkte in Sonetten und Kanzonen, in denen das brunianische Denken sich kristallisiert und deren Auslegung den Inhalt der Dialoge ausmacht.
Wichtiger für eine heutige Frage nach den Entstehungsmöglichkeiten von Poesie ist aber Brunos Kombinatorik, die er in seinen Gedächtnismaschinen in immer wieder anderen Verknüpfungsregeln fixiert hat. Bruno benutzt die Sprache in Analogie zur Flüchtigkeit und Wechselhaftigkeit der Erscheinungen, des Fühlens und Denkens, was für ihn heißt, dass die Wörter keine einmalige, festgelegte Bedeutung haben, dass ihre Bedeutung abhängt von der Konstellation, in der sie stehen, und dass auch diese Bedeutung bei der nächsten Drehung des Rades sich wieder ändert und dass sogar der lexikalische Referenzbezug zerrissen sein kann, weil die Wörter nur noch auf sich verweisen.
Von den vielen kombinatorischen Verfahren nenne ich nur einige wenige. So bedenkt er die Ähnlichkeit von Wortanfängen und -schlüssen, Kopf und Schwanz, und gelangt für den Kopf von asinus zu asylum, von generans zu Genesis, von parturiens zu Paralipomena, den nicht-kanonischen Büchern der Bibel. Für einen Schwanz bringt er templum und contemplatio, für die Ähnlichkeitsbeziehung eines ganzen Wortes speculum und speculatio. Durch reine Lautassoziation erinnert, wie er sagt, equus an aequus, vitis an vita. Andererseits benutzt er so genannte Summationsschemata: caro, nix und fex ergibt carnifex, den Verbrecher; granum, vitis und pirum ergibt grande vituperum, den großen Tadel; cor und nix führt zu cornix, dem Raben. / Klaus Reichert, FR 14.12.02

In dem Artikel kommentiert der Autor ein eigenes Gedicht, das sich an Hölderlins Fragment Kolomb anknüpft und nach „brunianischen Verfahren“ gebaut ist.

Die oft traurige

Meret Oppenheim hat sich selber vergnügt zugeschaut, wenn sie schrieb. Sie beobachtete ihre Spracheinfälle und was die so alles anrichten, «mitnichten mitneffen mit Kaspar mit Kuchen». Sie verfolgte, wie Klänge sich weiterzeugen, welche Silben und Wörter sie nach sich ziehen. So: «Kacherache, panache, / Lob dem schüchternen Wallachen.» Oder so: «es wird gesiebt, geachtet / Und neun und gut geschlachtet.» Das freie Assoziieren setzt den gewohnten Zusammenhalt des Gedichts ausser Kraft, den Zusammenhalt von Thema und Aussage. Dieser Auflösung setzt Oppenheim – mit strengem Auge – eine neue Kohärenz entgegen. / Beatrice von Matt, NZZ 14.12.02

Meret Oppenheim «Husch, husch, der schönste Vokal entleert sich». Gedichte, Prosa. Hrsg. von Christiane Meyer-Thoss. Mit Abb. und 1 CD. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main 2002. 191 S., Fr. 39.50

Westrand

Für die NZZ (14.12.02) bespricht Nico Bleutge:

Dieter M. Gräf: Westrand. Gedichte. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main. 159 S., Fr. 26.40

(siehe auch Süddeutsche 11.12.02; Die Zeit 2.10.02)

Mädchen auf der Flucht

Jan Wagner bespricht in der FR (14.12.02)

John Ashbery: Mädchen auf der Flucht . Ausgewählte Gedichte, zweisprachig. Aus dem Amerikanischen von Erwin Einzinger, Durs Grünbein, Matthias Göritz, Michael Krüger, Klaus Reichert und Joachim Sartorius. Herausgegeben von Joachim Sartorius. Carl Hanser Verlag (Edition Akzente), München 2002, 176 Seiten, 17,90

(siehe auch FAZ 7.12.02)

Lyriknacht im Literaturzentrum Koeppenhaus

Greifswald (OZ/EB) Das Literaturzentrum Vorpommern präsentiert am Donnerstag um 20 Uhr zusammen mit dem Mueckenschweinverlag Stralsund und der Zeitschrift „KunstLeuteKunst“ eine Nacht der Lyrik im Wolfgang-Koeppen-Haus. Es lesen: Nele Wichert aus Rostock, die als Lyrikmeisterin des Landes Mecklenburg-Vorpommern ausgezeichnet wurde; Gunter Lampe und Richard Rocholl aus Stralsund; sowie Camilla Binkele, Heiko Lehmann und Johanna Nikulski aus Greifswald. In der Edition KunstLeuteKunst erscheint zur Lyriknacht der Titel „Dein trockener Schnabel, Rabe“ von Camilla Binkele. Die Veranstaltung ist gleichzeitig Premiere für eine neue Buchreihe des Mueckenschweinverlags in Zusammenarbeit mit „KLK“ und anderen literarischen Initiativen./ OZ 11.12.02

Hier das Titelgedicht:

Camilla Binkele

Dein trockener Schnabel, Rabe
schabt sanft meiner Lippen Saum,
berührt meine Zunge kaum
schafft mir den Raum
zwischen deinen Schnabelkanten
offen klein zu sein

und deine schwarze Zunge,
Junge

Werbekampagne

Über eine amerikanische dichtergestützte Werbekampagne, bei der auch poet laureate Billy Collins mitmacht, berichtet die NZZ am 11.12.02

Die Plädoyers für ein etwas differenzierteres Bild können unter www.usinfo.state.gov/products/pubs/writers im Internet abgerufen werden.

Klanggewitter

Franz Josef Czernin zählt zu den Dichtern, die sich selbst deuten können. Er sucht das Wesen der Dinge in den Worten, die sie bezeichnen, gleichsam unter Laborbedingungen. Jede Konnotation soll eine Konsequenz haben. Dabei entsteht ein Klanggewitter, das den Zuhörer Zuflucht im Erstaunen nehmen lässt: so wie zuletzt im Literaturhaus, wo der aus Wien gebürtige Autor seine im Hanser-Verlag erschienenen elemente, sonette vortrug. / Schreibt Jamal Tuschik über eine Lesung des Österreichers in Frankfurt, FR 11.12.02