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521 Wörter, 3 Minuten Lesezeit.
Das heutige Gedicht wird vielleicht kurios erscheinen. Philosophie in Knittelversen, 2013 aus dem Nachlass des fast 70 Jahre früher gestorbenen Autors von einem kleinen Lyrikverlag erstveröffentlicht. Hier ist der Anfang des Gedichts „Magie in Knittelversen“, 1941 von dem vor den Nazis nach Paris geflüchteten Autor Salomon Friedländer alias Mynona geschrieben. Die Deutschen waren inzwischen in Paris. „Im Juni 1940 besetzten deutsche Truppen kampflos Paris, im Juli 1942 wurden fast 13.000 Juden deportiert (la rafle du vel d’hiv; man sehe Roselyne Boschs Film Die Kinder von Paris, 2010). Seit Ende 1941 verließ Friedlaender anderthalb Jahre lang seine Wohnung nicht. Aus der Phase vor dieser gewiß nicht freiwilligen Isolationshaft des Siebzigjährigen stammt das folgende Werk.“ (S. 4)
MAGIE in Knittelversen
von Mynona.
Paris
VIII. 1941
Freundliche Einladung Diese Vernunftmagie kam durch Kant zu Wort, Sein Thronfolger Ernst Marcus setzte sie fort. Mög' es fröhlichen Knittelversen gelingen, Alle Menschenherzen damit zu durchdringen, Um die allgemeine Wohlfahrt heiter herbeizuzwingen! I Sie sind doch kein mikrokephalischer Azteke? Also gehn wir mal in 'ne geistige Apotheke! Sie mögen sich bequemen, Ein paar Pillen zu nehmen, Auch wenn die bitter schmecken, Denn, statt zu verrecken, Werden Sie unsterblich gesunden - Bitte streun Sie dies Heilsalz in Ihre Wunden! Selbstverständlich müssen Sie dosieren, Sich allmählich steigern, klug probieren, Und eh' Sie sich's versehen, Ist es um all Ihr Elend geschehen, Ihr Leben wird Ihnen lachen. Aus lauter klagenden Narren wird diese Kur lachende Weise machen. II Das ist aber keine Hokuspokusmagie, Kein Ockul- & Spiritismus, weder Alchymie noch Astrologie – Sondern magische Kraft Der Vernunft und Wissenschaft. Jede andre Magie lügt, Der Vernunftwille genügt. Lernt diesen Willen erst einmal kennen, Dann wird er klar leuchten, statt mystisch zu brennen. Erkennt euch selbst, so wird die äußre Welt Durch euer Innen erhellt und besser bestellt. Kein Wunder, daß über Ohnmacht flennt, Wer seine eigene Macht noch nicht kennt. Der eigene Wille (ich lache) Ist noch eine geheimnisvoll komische Sache. Lest mal bei Kant von des Vorsatzes Magie, Sonst erkennt ihr die eigene Macht nie. Beherrscht der Wille nicht den eigenen Leib? Herauszukriegen, wie, ist der beste Zeitvertreib. Äußere Abenteuer reizen, Aber's gilt die Begier fürs Innre zu heizen. Zu Kolumbus, Kopernikus gesellt sich höher auch Kant Und eröffnet der Selbsterkenntnis Land. III Ist's banal, daß dein Wille deine Glieder bewegt? So daß sich keine Verwundrung darob in dir regt? Und doch ist das kein selbstverständlicher Plunder, Sondern magisches Wunder: – Denn dieser dein Wille ist ein magischer Geist, Desgleichen die übrige Natur nichts aufweist. Natur wirkt blindlings maschinell, Der Wille intelligent, prognostisch hell. Die Muskulatur bliebe verkrampft oder stille, Wär ihrer Bewegung Ursache nicht der sie sich vorstellende Wille. Der bringt die Glieder in gehorsamen Schwung, Denn der Wille wirkt physisch als Kraft der Vorstellung. Das wollende Ich befiehlt deinem Leib, Und der gehorcht wie ein sanftes Weib. Was folgt hieraus? Beachte das recht, Vielleicht gelingt's nicht schlecht, Diese magische Macht des Willens so zu verstärken, Daß du gelangst zu Wunderwerken.
Aus: Salomo Friedlaender / Mynona: Magie in Knittelversen, aus dem Nachlass herausgegeben von Detlef Thiel. hochroth Berlin, 2013, S. 9-11
Erstveröffentlichung nach einem Manuskript von VIII. 1941.
Das Original befindet sich im Deutschen Literaturarchiv Marbach.
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