Zwei Gedichte

344 Wörter, 2 Minuten Lesezeit

Friedrich Hölderlin (1770–1843)

An die Parzen

Nur Einen Sommer gönnt, ihr Gewaltigen!
 Und einen Herbst zu reifem Gesange mir,
  Daß williger mein Herz, vom süßen
   Spiele gesättiget, dann mir sterbe.

Die Seele, der im Leben ihr göttlich Recht
 Nicht ward, sie ruht auch drunten im Orkus nicht;
  Doch ist mir einst das Heil’ge, das am
   Herzen mir liegt, das Gedicht gelungen,

Willkommen dann, o Stille der Schattenwelt!
 Zufrieden bin ich, wenn auch mein Saitenspiel
  Mich nicht hinab geleitet; Einmal
   Lebt’ ich, wie Götter, und mehr bedarfs nicht.

Quelle: Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. Kritische Textausgabe, herausgegeben von D. E. Sattler. Frankfurt am Main: Luchterhand, Bd. 4: Oden I. Darmstadt und Neuwied: Luchterhand, 1985, S. 162


Uwe Kolbe (geb. 1957)

Kein Glaube an das Gedicht

Ich glaube nicht mehr ans Gedicht.
Ich glaube an Geld und Gericht,
Anwälte, Juristen, an die Macht,
abstrakte Institutionen, aber an dich,
Gedicht, glaube ich nicht.
Ich glaube an Engel, an Liebe,
an Schönheit, doch nicht an dich,
Gedicht. Ich glaube an Freunde
gewiß, lebendige Tote, ja, glaube
an Tote, an fallende Grenzen
und Reisen ins Unbekannte,
doch an, das mir am Herzen liegt,
glaube ich nicht. Oh Finanz und
oh Amt und oh Untergang,
oh Grundumsatz eines Hauses
oder der menschlichen Zelle,
ich glaub an die Wissenschaft,
sogar an die Macht des Wortes,
das in dem Gespräch fällt,
doch an das Heilige nicht, Gedicht.

Quelle: Poesiealbum 394: Uwe Kolbe. Auswahl Jürgen Theobaldy. Bilder von Klaus Dennhardt. Wilhelmshorst: MärkischerVerlag, 2025, S. 23


Poesiealbum (gegründet 1967) erscheint wieder, in der alten Aufmachung (nicht zu verwechseln mit dem Leipziger „Poesiealbum neu“ in gleicher Aufmachung, aber mit anderem Konzept), und auch nach fast 400 Heften ist noch lange nicht Schluss und lohnt sich ein Abonnement mit den preiswerten Lyrikausgaben von Altbekanntem, Neuem und Überraschendem. Wer 2025 eingestiegen ist, erhielt:

391: Klaus Möckel
392: Günter Bruno Fuchs
393: Oskar Maria Graf
394: Uwe Kolbe
Angekündigt 395: Heinz Czechowski

Im Jahr davor:

383: Jochen Grünwaldt
384: Elsa Asenijeff
385: Leo Heller
386: Rainer Malkowski
387: Ulrike Draesner
388: Ludwig Tieck
389: Fritz Grünbaum
390: Emmy Hennings

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